Flüchtlinge sind mehr als ein administratives Zahlenproblem

Während die hohe Politik nach „Abwehrmaßnahmen“ gegen Flüchtlinge sucht und die Stimmung in Europa aufgeheizt ist, sterben weiter Menschen. Auch Kinder sind wieder darunter.

Als der kleine Aylan hier tot angespült wurde, war die Betroffenheit da. Denn dieses Opfer hatte ein Gesicht. Doch das Sterben im Mittelmeer geht weiter. Foto: Defend International / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Die Nachrichtenlage ist unübersichtlich. Die Schlagzeilen werden von den Streitereien auf nationaler und europäischer Ebene beherrscht, von Gesetzesverschärfungen, von Rechtsradikalen, die am liebsten die bei uns ankommenden Menschen gleich wieder ins Meer werfen würden. Überall in Europa werden Pläne zur schnellen Abschiebung von Flüchtlingen diskutiert, ebenso wie die Abschottung der europäischen Grenzen. Man spricht über Zahlen, über Quoten, über Strukturen und langsam, aber sicher, vergessen wir dabei eines – es geht nicht um Zahlen, sondern um menschliche Schicksale. Gestern ertranken wieder mindestens 10 Menschen bei einem Schiffbruch vor der griechischen Insel Samos. Darunter 7 Kinder. Und rund 20 Personen werden noch vermisst.

Während sich im Westen immer mehr der Gedanke verfestigt, dass Flüchtlinge so etwas wie eine theoretische, terroristische Gefahr sind, während die Rechtsextremen, deren einziges Programm das Schließen der europäischen Türen und die Abschiebung „südländisch“ aussehender Menschen ist, einen unglaublichen Zulauf erfahren, tobt in den Krisenregionen der Welt der Krieg. Kein Krieg wie in der „guten, alten Zeit“, als sperrige Armeen aufeinander zumarschierten und sich so lange schlugen, bis ein Sieger feststand, nein, heute findet Krieg in lokal begrenzten Gemetzeln und Gräueltaten statt, über denen die Industrienationen der Welt ihre Bombenteppiche ausbreiten, die vor allem die jeweilige Zivilbevölkerung trifft. Kein Wunder, dass diese Zivilbevölkerung ihre Heimat verlässt und sich in der Hoffnung auf Sicherheit und Überleben für ihre Familien auf den gefährlichen Weg nach Europa macht. Ein Weg, der für viele dieser Opfer von Kriegen, für die sie nichts können, tödlich endet.

Im Grunde sind es heute nur noch Kurzmeldungen, wenn eine Flüchtlings-Nussschale im Mittelmeer kentert und die darin befindlichen Flüchtlinge ertrinken. Die Tatsache, dass es sich um menschliche Wesen handelt und nicht nur um Zahlen in den Statistiken, gerät zur Nebensache. Doch sollte man nicht nur den Blick auf das „große Ganze“ legen, sondern sich daran erinnern, dass dort Menschen einen grauenhaften Tod sterben, der selten so eindrücklich dokumentiert worden ist wie durch die Bilder des kleinen Aylan, der an der türkischen Küste angespült wurde. Doch Aylan wurde ebenso schnell vergessen wie all die anderen namenlosen Aylans, deren Fahrt in die Hoffnung auf dem Grund des Mittelmeers endete.

Bei der Frage, die Angela Merkel so mutig mit „Wir schaffen das!“ beantwortet hatte, geht es in allererster Linie um das, was den Menschen eigentlich zum Menschen machen sollte. Mitgefühl, Solidarität, Mit-Leiden, Hilfe. Es geht nicht um Zahlen, es geht nicht um Quoten, die von vollgefressenen Politikern in Plüschsesseln in klimatisierten Büros willkürlich festgelegt werden – es geht um jedes einzelne Kind, um jeden einzelnen Menschen, der deshalb sterben muss, weil wir Europäer nicht in der Lage sind, einen von ungezählten Organisationen seit langem geforderten „sicheren Korridor“ für Kriegsflüchtlinge einzurichten und stattdessen lieber mit höchst fragwürdigen Zeitgenossen wie dem türkischen Präsidenten Erdogan zusammenarbeiten, damit der verhindert, dass es diese Opfer bis zu uns schaffen.

Die toten Kinder von Samos sind eine Anklage. Eine Anklage gegen die kalte Unmenschlichkeit der Europäischen Union, deren Hass von Ländern wie Ungarn, Polen, der Tschechischen Republik, der Slowakei und anderen angestachelt wird, eine Anklage gegen einen Kontinent, der sich selbst so gerne als „Hort der Menschenrechte“ selbst feiert, dabei aber genau diese Menschenrechte mit Füssen tritt.

Na klar, vor Samos sind „nur“ 7 Kinder ertrunken. Aber das waren, verdammt nochmal, wieder einmal 7 zu viel!

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