Jean-Claude Juncker findet klare Worte zur Lage Europas

In seiner Rede vor dem Europäischen Parlament in Straßburg hat der Präsident der Europäischen Kommission die Zögerlichkeit der Union kritisiert - und Vorschläge gemacht.

Jean-Claude Juncker bei seiner Ankunft im Europäischen Parlament in Straßburg mit Parlamentspräsident Martin Schulz. Foto: Claude Truong-Ngoc / Eurojournalist(e)

(KL) – „Zu wenig Europa, zu wenig Union“, mit diesen Worten resümierte der Präsident der Europäischen Kommission den aktuellen Zustand in der EU und rief die Mitgliedsstaaten zu mehr Solidarität auf. Angesichts des Verhaltens einiger EU-Staaten, allen voran Ungarn, die Tschechische Republik und neuerdings auch Dänemarks, ist dieser Appell wichtig und richtig. Jetzt muss die EU zeigen, wofür sie gut ist und ob sie überhaupt eine Existenzberechtigung jenseits der Arbeit für die Finanzmärkte hat.

„Mutig und entschlossen handeln“ sollen die EU-Staaten und Juncker präsentierte einen Plan, nach dem in den nächsten Wochen 120.000 Flüchtlinge auf die 28 EU-Staaten verteilt werden sollen. Ob diesen das nun passt oder nicht. Allerdings möchte man nicht in der Haut der Flüchtlinge stecken, die das Pech haben, nach Ungarn oder Dänemark geschickt zu werden, wo stark nationalistisch orientierte Regierungen weiterhin eine Politik betreiben, die darauf ausgelegt ist, vor einer „Überfremdung“ ihrer Länder und Europas irrationale Ängste zu schüren. Pegida lässt grüssen.

Doch es warten schwere Wochen und Monate auf Jean-Claude Juncker. Denn die Solidarität, der er völlig zu Recht für die Flüchtlinge einfordert, die weiterhin in großer Zahl nach Europa kommen, muss auch für diejenigen europäischen Länder gelten, die momentan auch unsere Hilfe benötigen, allen voran Griechenland. Dort wird in 10 Tagen gewählt und die Krise, die das Land seit Jahren schüttelt, kann sofort wieder aufflammen. Griechenland braucht unsere Solidarität ebenso dringend wie die europäischen Landwirte, wie die Ukraine (für die dankenswerterweise Frankreich und Deutschland eine neue diplomatische Initiative gestartet haben, in deren Rahmen es am 2. Oktober zu einem neuen Minigipfel mit der Ukraine und Russland kommen wird), wie die sozial ausgegrenzten Menschen, von denen es auch in Europa mittlerweile Millionen gibt.

Europa steht, wie so oft, am Scheideweg. An dieser Kreuzung zeigen aber gerade Jean-Claude Juncker und ja, auch Angela Merkel und François Hollande, mit dem Finger in die richtige Richtung. „Zu wenig Europa“, sagte Juncker und die osteuropäischen Länder der EU sollten hier genau hinhören. Denn der dumpfe Ausländerhass, der in einigen dieser Länder geschürt wird, übersieht völlig, dass diese Länder noch vor kurzer Zeit genau diese europäische Solidarität brauchten, um überhaupt den Weg in die europäische Familie zu finden. „Zu wenig Europa“, das stimmt. „Zu wenig Union“, das stimmt auch.

Viel zu lange haben sich die europäischen Institutionen zu reinen Erfüllungsgehilfen der Finanzmärkte und Wirtschaftslobbys gemacht und dabei fast vergessen, dass es in erster Linie um Menschen geht. Da brauchte es schon das aktuelle Flüchtlingsdrama, damit sich Europa an seine eigentlichen Werte erinnerte. Jetzt geht es darum, den aktuellen guten Willen nachhaltig zu bewahren und schnell in konkrete Handlungen umzumünzen. Und die nationalistisch denkenden und handelnden Länder in Europa müssen sich genau an dieser Stelle überlegen, ob sie Teil einer echten Solidargemeinschaft sein wollen oder sich außerhalb dieser Wertegemeinschaft stellen, die gerade einen neuen Weg zu finden scheint.

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