Sind wir eigentlich verrückt geworden?

Wir bestrafen diejenigen, die uns ermöglichen, die größten Skandale unserer Zeit zu verstehen und – lassen die größten Verbrecher unbehelligt.

Statt diejenigen anzuklagen, die uns über üble Machenschaften informieren, sollten wir lieber die Verbrecher in Anzug und Krawatte vor Gericht stellen... Foto: US SEC Office of the Whistleblower / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Der Prozess gegen die „Whistleblower“, die den „LuxLeaks-Skandal“ aufgedeckt haben, läuft gerade in Luxemburg. Der Journalist Edouard Perrin und der „Whistleblower“ und Buchprüfer Antoine Deltour sind wegen Diebstahl, Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen und Illegalem Zugriff auf Computersysteme angeklagt und ihnen drohen bis zu 10 Jahre Haft und Geldstrafen von bis zu einer Million Euro. Die durch „LuxLeaks“ bekannt gewordene Steuervermeidung von 340 international operierenden Großkonzernen, die gemeinsam mit der luxemburgischen Regierung ein geschmiertes System der Steuervermeidung aufgebaut hatten, bleiben unbehelligt. Obwohl sie einen großen Teil der Verantwortung dafür tragen, dass die Kassen in den europäischen Ländern leer sind.

Das System ist denkbar einfach. Die Großkonzerne gründeten in Luxemburg ihre Europazentralen, die von dort aus ihre Filialen in den europäischen Ländern steuerten. Dank eines mit den luxemburgischen Behörden ausgehandelten Deals, zahlen diese Konzerne nur einen lächerlich geringen Steuersatz. Um zu vermeiden, dass ihre Filialen in den europäischen Ländern ihre Gewinne vor Ort versteuern müssen, fakturieren die in Luxemburg ansässigen Zentralen ihren Filialen „Lizenzgebühren“ für die Nutzung ihrer Marke und senken somit buchhalterisch die Gewinne der Filialen auf 0. Kein Gewinn, keine Steuern. Und da auf die tatsächlich erwirtschafteten Gewinne nur der lächerlich geringe Steuersatz zu zahlen ist, entgehen diese 340 Großkonzerne der Besteuerung.

Dieses System wurde ausgerechnet unter der Regierung von Jean-Claude Juncker eingerichtet, doch weder er, noch die betroffenen Konzerne müssen sich für dieses System verantworten. Das müssen nur diejenigen, die es öffentlich gemacht haben.

Da passt es hervorragend, dass das Europäische Parlament gerade eine Direktive zum Thema „Schutz vor der Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen“ beschlossen hat, mit der das Leben für „Whistleblower“ noch schwerer gemacht wird. Doch vor wem schützen wir eigentlich gerade wen? Wir schützen diejenigen, die unsere Gesellschaften ausbeuten, die sich nicht an der Finanzierung des Gemeinwohls beteiligen und die den „Shareholder Value“ zur obersten Religion erhoben haben. Und dann wundert sich noch jemand, dass ein Wind der Revolte durch Europa weht, dass die Menschen die Nase gestrichen von diesem System voll haben, das sich gegen die Menschen richtet und nur noch das Kapital fördert.

Es ist an der Zeit, Europa komplett neu zu erfinden. Sollte dies nicht gelingen, wird genau das passieren, was in der gesamten Geschichte der menschlichen Zivilisation immer pasiert, wenn sich ein gesellschaftliches System überholt hat – entweder es ändert sich, oder es wird von einer Revolution hinweg gefegt. Das sind die Optionen. An uns und an den Institutionen zu wählen, welche dieser Optionen wir anwenden wollen.

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