Und plötzlich entdecken sie alle wieder das gute, alte Europa…

Diejenigen, die sich seit ewigen Zeiten mit Händen und Füssen gegen ein „richtiges“ Europa wehren, sind die ersten, die nach den Attentaten von Brüssel nach „mehr Europa“ rufen. Wie heuchlerisch.

Ob die Brüsseler Anschläge tatsächlich zu "mehr Europa" führen, ist ziemlich zweifelhaft. Foto: Sébastien Bertrand / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Klar, im Grunde könnte man sagen, lieber jetzt als nie. Seit den Anschlägen von Brüssel ruft halb Europa nach „mehr Europa“, nach gemeinsamen Geheimdiensten, nach einer gemeinsamen Armee, nach gemeinsamer Verteidigungspolitik. Das ist natürlich richtig und wäre ein wichtiger Schritt in Richtung eines föderalistischen Europas, aber die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass die Betroffenheitsprofis in der Politik ihre hehren Absichten nicht lange nach der Osterpause wieder vergessen haben werden.

Sollten es ausgerechnet die blutigen Terroranschläge von Brüssel sein, die ein völlig zerstrittenes und in seinen Handlungen gelähmtes Europa wieder auf eine gemeinsame Richtung lenken können? Wenn man die europäischen Regierungschefs in den letzten beiden Tagen gehört hat, könnte man fast den Eindruck bekommen, als stünde die europäische Einigung fast bevor. Mario Renzi fordert aus Italien eine gemeinsame europäische Verteidigung, François Hollande und viele andere fordern das gleiche, es herrscht fast so etwas wie Konsens. Doch ein wenig Misstrauen sei gestattet.

Natürlich ist der erste Fragestellung nach dem Schrecken von Brüssel, wie man so etwas verhindern kann. Und die erste Antwort ist auch schnell gefunden – es handelt sich um die „amerikanische Antwort“, wenn es um den Umgang mit Krisen geht: Geld in die Geheimdienste gießen und deren ohnehin schon weit reichende Kompetenzen um eine Art Blankoscheck ergänzen. Immerhin, ebenso wie die NSA in den USA, könnte ja ein paneuropäischer Geheimdienst solche Anschläge künftig bestimmt verhindern. Kann er aber nicht. Auch eine völlig überdimensionierte NSA konnte den Anschlag von Boston nicht verhindern, dafür ist die NSA aber inzwischen zu einer Art „Superbehörde“ aufgebohrt worden, die sich um ein wenig Terrorbekämpfung, aber auch sehr intensiv um die Überwachung der eigenen und fremder Bevölkerungen kümmert. Was genau die NSA macht, das verrät sie ebenso wenig wie der BND, der als braver Erfüllungsgehilfe der NSA zuletzt Negativschlagzeilen machte.

Also – gründen wir einen „Paneuropäischen Geheimdienst“. Hals über Kopf. Denn es geht ja auch darum, den Bürgerinnen und Bürgern zu zeigen, dass man reagiert, aktiv wird und alles tut, um die Bevölkerung zu schützen. Das Ganze wird uns dann als wichtiger und längst überfälliger Schritt hin zu „mehr Europa“ verkauft. Doch wie überzeugend ist das, wenn „mehr Europa“ nur als Reaktion auf solche Attentate angedacht wird und dies auch nur im Bereich der Geheimdienste und der militärischen Kooperation? Warum spricht niemand aus, was die europäischen Bürgerinnen und Bürger wirklich wollen? Nämlich nicht nur eine europäische Geheimdienstpolitik, sondern auch eine europäische Sozialpolitik, eine europäische Wirtschafts- und Fiskalpolitik, kurz, ein föderalistisches Europa? Liegt es am Ende daran, dass Geheimdienste und Rüstungskonzerne die besseren Lobbys als Hartz IV-Empfänger haben?

Dass diejenigen, die sich bislang gegen genau dieses „mehr Europa“ gewehrt haben, unter dem Eindruck von Brüssel nun nach „mehr Europa“ rufen, ist wenig glaubwürdig. Und die Chancen, dass dieser Ruf schon bald verhallt, sind leider groß. Man erinnere sich nur daran, wie im Januar 2015 ganz Europa entsetzt über das Attentat auf „Charlie Hebdo“ war und einige Tage lang in ganz Europa Konsens herrschte, wie unendlich freie und unabhängige Medien sind. Diese Überzeugung hatte leider auch nur eine kurze Halbwertzeit – seitdem sind in mehreren europäischen Ländern, in denen die Verantwortlichen ebenfalls mit „Je suis Charlie“-Stickern herumliefen, heftige Angriffe auf und Einschränkungen der Pressefreiheit erfolgt.

Ob es nun mit den Plänen einer europäischen Kooperation tatsächlich anhand dieser Situation konkret wird? Sollten die Anschläge von Brüssel dazu beitragen, dass wir einen echten Schritt in Richtung eines föderalistischen Europa machen können, dann wäre es gut. Alleine, es fehlt ein wenig das Vertrauen in die europäische Überzeugung der handelnden Politiker. Die jetzt eine tolle Gelegenheit haben, uns Lügen zu strafen und uns positiv zu überraschen.

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