War da nicht noch so etwas wie ein „Brexit“?
Angesichts der sich permanent überschlagenden Nachrichten aus aller Welt rücken viele Themen schnell aus der Aufmerksamkeit heraus. Wo stehen wir eigentlich gerade beim Thema „Brexit“?
(KL) – Wenn es um den „Brexit“ geht, also den am 23. Juni per Volksentscheid beschlossenen Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union, dann möchte kaum noch jemand darüber sprechen. Aus einem politischen Erdbeben ist ein technokratischer Ablauf geworden, die Verantwortlichen haben den ganzen Vorgang auf eine bürokratische Ebene gehievt, auf der man sich kaum noch damit auseinandersetzt, was im Rahmen dieser Entscheidung eigentlich passiert. Natürlich müssen die „technischen“ Aspekte eines eventuellen Ausscheidens des Vereinigten Königreichs besprochen und organisiert werden – doch sollte man vor einem solch historischen Fehler nicht erst alle Möglichkeiten ausschöpfen, ihn zu verhindern?
Es ist gerade mal sechs Wochen her, da stellt der „Brexit“ eine Erschütterung Europas in ihren Grundfesten dar. Als Reaktion auf das überraschende britische Votum versprachen sich alle gegenseitig, dass nun ein „neues Europa“ aufgebaut werden müsse, eines, das den Wünschen und Hoffnungen der Menschen in Europa entspricht. Und wer spricht heute noch davon, Europa von Grund auf neu zu gestalten? Die Rufe nach tiefgreifenden Reformen verstummen langsam und machen Platz für die „Technik des Desasters“. Die EU hat mit Michel Barnier einen Verhandlungsführer bestimmt, der den Briten quer im Hals steckt, die neue britische Premierministerin Theresa May spielt auf Zeit und denkt gar nicht daran, den berühmten Paragraphen 50 der Europäischen Verträge zu ziehen und damit den Countdown für den Ausstieg Großbritanniens aus der EU einzuläuten – am liebsten würde sie noch die Wahlen in Frankreich und Deutschland 2017 abwarten und wer weiß, vielleicht tut sie das sogar.
Dabei würde es deutlich mehr Sinn machen, die Frage des „Brexit“ unter allen Gesichtspunkten zu betrachten und diesen Ausstieg nicht als „gottgegeben“ zu betrachten, das ist er nämlich nicht. Angesichts dessen, was in den ersten sechs Wochen nach der Volksabstimmung im Vereinigten Königreich passiert, sollte man doch noch einmal innehalten und nach Alternativen suchen, statt sich darauf zu versteifen, einen beschlossenen Fehler, der sich immer mehr als ein solcher herausstellt, bis zum bitteren Ende zu gehen.
Die britische Wirtschaft rauscht gerade in den Keller, die Einheit Großbritanniens war seit den Zeiten der Wikingerüberfälle nicht mehr so gefährdet wie heute – und auch „Resteuropa“ profitiert nicht vom „Brexit“ – im Gegenteil, das britische Beispiel könnte Schule machen, die nächsten europafeindlichen Volksabstimmungen sind in anderen Ländern wie Ungarn bereits in Vorbereitung.
Noch ist der Fehler des „Brexit“ nicht begangen und bevor dies eintritt, sollten alle gemeinsam noch einmal auf die Bremse treten und sich daran erinnern, was sie vor sechs Wochen gesagt haben – denn da wollen alle ein „neues europäisches Projekt“ in die Wege leiten, ein an Werten und Gemeinsamkeiten orientiertes Europa. Ein Europa, an dem sich dann auch die Briten beteiligen könnten. Und das wäre dann doch sinnvoller, als jetzt mit „Hurra!“ in eine europäische Katastrophe zu stürmen. Noch ist Zeit, wieder den Weg der Vernunft einzuschlagen.
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