Wen hat die Bundeswehr aus Afghanistan geholt?

Die Berichte häufen sich, dass die Bundeswehr über ihre Luftbrücke nach Taschkent nur zwischen 100 und 150 Ortskräfte und deren Familien evakuiert hat.

Militärisches Gerät und Dosenbier konnten gerettet werden - aber warum nur so wenige Ortskräfte? Foto: Bundeswehr-Fotos / Wir.Dienen.Deutschland / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Die Amerikaner haben Kabul verlassen und das Land ist nun sich selbst überlassen. Die Bundesregierung und verschiedene „Wehrexperten“ bezeichnen die Hals-über-Kopf-Evakuierung aus Kabul als „Meisterleistung“. Abgesehen davon, dass man dieses Chaos kaum als „Meisterleistung“ bezeichnen kann, sind noch jede Menge Fragen offen. Vor allem diese: Wen hat die Bundeswehr eigentlich aus Afghanistan ausgeflogen? Die rund 10.000 früheren afghanischen Ortskräfte waren es jedenfalls nicht. Von denen sitzen noch fast alle mit ihren Familien im Land und befürchten, dass sie keine Chance mehr haben, Afghanistan zu verlassen.

Der Jubel der Taliban in Kabul ist unbeschreiblich. Nach dem Abflug der letzten amerikanischen Maschine haben sie nun die volle Kontrolle über das Land und natürlich auch über den strategisch so wichtigen Flughafen in Kabul, der für lange Zeit der einzige Weg aus dem Land sein dürfte. Für diejenigen, die von den Taliban dazu autorisiert werden. Doch wem die Taliban, die bereits in vielen Städten mit Namenslisten von Haus zu Haus gehen und frühere Mitarbeiter westlicher Organisationen und Armeen suchen, eine Ausreise gestatten, das steht in den Sternen.

Die Zahlen der tatsächlich ausgeflogenen Ortskräfte variieren je nach Ministerium und liegen irgendwo zwischen 100 und 150 Ortskräften und deren Angehörigen. Allerdings hat die Bundeswehr in den kurzen Tagen der Evakuierung mehr als 5300 Menschen ausgeflogen. Doch wenn diese Menschen keine Ortskräfte waren, die theoretisch prioritär hätten gerettet werden sollen, wen haben die Flugzeuge der Bundeswehr dann außer Landes gebracht? Und warum wurden von 10.000 Ortskräften, die sich auf die Rettung durch die Bundesrepublik verlassen haben, nur weniger als 200 tatsächlich ausgeflogen?

Doch diese Fragen und die menschlichen Tragödien in Afghanistan, die zum Teil auch von den westlichen Staaten zu verantworten sind, halten die verantwortlichen PolitikerInnen nicht davon ab, sich sehr zufrieden zu zeigen, sowohl mit dem völlig gescheiterten 20jährigen Einsatz am Hindukusch, als auch mit der nicht minder verkorksten Evakuierung.

Der Westen hat die Entwicklung in Afghanistan komplett verschlafen, während China und Russland sofort reagiert und den Taliban ihre Zusammenarbeit angeboten haben. Das ist für China und Russland wenig verwunderlich, denn beide Länder machen überall Geschäfte, ohne sich weiter um die politischen Verhältnisse in den Ländern zu kümmern, deren Rohstoffe sie benötigen, was in Afghanistan mit in der HighTech-Branche benötigtem Lithium und Seltenen Erden der Fall ist. Der Westen hofft noch, „Druck“ auf die Taliban ausüben zu können, um von diesen die Ausreise Zehntausender Afghanen zu erwirken. Ist das nun grundloser Optimismus oder grenzenlose Blauäugigkeit?

Heute ist ein Visum für Deutschland in Afghanistan eine zweischneidige Sache. Einerseits haben die früheren Ortskräfte keinerlei Hoffnung, Deutschland ohne Visum erreichen zu können, andererseits müssen sie vermeiden, von den Taliban im Besitz eben dieser Papiere angetroffen zu werden, die sie sofort als „Kollaborateure“ identifizieren. Angesichts der Verhaftungen und Exekutionen in anderen afghanischen Städten ist diese Sorge mehr als berechtigt.

Die nächsten Tage werden es zeigen, ob es noch diplomatische Kanäle gibt, über die man das Leben der früheren afghanischen Ortskräfte retten kann. Und bis dahin sollte erst einmal folgende Frage beantwortet werden: Wenn ihr schon nicht die Ortskräfte ausgeflogen habt, wer saß dann in den Flugzeugen der Luftbrücke? Das Thema „Afghanistan“ ist noch lange nicht durch…

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