Wie schnell sich die Perspektiven auf die Welt verändern

Die Weltpolitik spricht von „Krieg“, doch sollte man angesichts der schrecklichen Ereignisse von Paris nach der Trauer einmal analysieren, wer welche Rolle in diesem „Krieg“ spielt.

Jetzt ist es Zeit, für den Frieden zu arbeiten statt für den Krieg zu hetzen. Foto: Gyrostat / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0

(KL) – Es hat nur 48 Stunden gedauert – nach den Feierlichkeiten zum Jahrestag des Endes des I. Weltkriegs am 11. November, als sich alle in die Augen schauten und sich gegenseitig versicherten, dass es „nie wieder Krieg“ geben dürfe, sprechen zwei Tage später nach den Attentaten alle wieder davon, dass wir uns im Krieg befinden. Dabei wird allerdings sehr viel durcheinander geworfen.

Papst Franziskus sagte, dass wir im „dritten Weltkrieg“ angekommen seien, der französische Präsident François Hollande sprach von „kriegerischen Handlungen“, sein Premierminister Manuel Valls bestätigte, dass man sich im Krieg befände. In der verständlichen Reaktion auf die kaltblütigen Morde in Paris, die nach menschlichem Empfinden nach Rache und Vergeltung schreien, sollte man trotzdem kurz innehalten und darüber nachdenken, was es mit diesem Krieg eigentlich auf sich hat. Denn das, was in Paris passiert ist, ist kein Krieg, sondern ein terroristischer Anschlag einer Handvoll Krimineller, den man mit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 vergleichen muss.

Die Terroristen sollten in Europa nicht das schaffen, was sie nach 2001 in den USA geschafft haben. Dort wurden in der Reaktion auf die Anschläge, die bei den Amerikanern ebenfalls das Gefühl auslösten, man befinde sich im Kriegszustand, kurzerhand die Bürgerrechte ausgehebelt und mit der NSA ein Monster erschaffen, dass nicht etwa befriedend auf die Welt wirkt, sondern nur weitere Gräben zwischen die Bevölkerungsgruppen der Welt gesät hat, Misstrauen und Hass schürt und zu einem Teil der Eskalation wurde, deren Auswüchse wir heute in Frankreich und anderswo sehen.

In Frankreich versucht die Rechtsextreme Marine Le Pen sich dadurch zu positionieren, dass sie die Wiedereinführung der Todesstrafe fordert, deren Abschaffung wir zu Recht als zivilisatorische Errungenschaft feiern, wobei die Populistin übersieht, dass die Anzahl Anschläge und Morde in Ländern, in denen die Todesstrafe praktiziert wird, keineswegs geringer ist als in Ländern, die sie abgeschafft haben, was die Schlussfolgerung erlaubt, dass die Todesstrafe den Terrorismus und die Gewalt weder beendet, noch einschränkt. In Deutschland fühlen sich die nationalkonservativen Kräfte berufen, die Schuld für die Anschläge bei den „Altparteien“ zu suchen, die „nicht in der Lage sind, die Bürger zu schützen“, wie man einem Tweet eines AfD-Politikers entnehmen konnte. Das ist übelste populistische Augenwischerei, denn weder eine Marine Le Pen, noch eine AfD haben auch nur im Entferntesten ein Konzept, wie man terroristische Anschläge verhindern kann.

Zumal die Ursache für diese Anschläge nicht in der europäischen Innenpolitik, sondern im Krieg in der arabischen Welt zu suchen ist. Einem Krieg, der seit Jahren andauert und um dessen Beendigung sich die Weltgemeinschaft nur sehr halbherzig kümmert, denn die Waffen produzierenden Staaten, zum Beispiel Deutschland und Frankreich, beide unter den fünf größten Waffenexporteuren der Welt, verdienen an diesen Kriegen viel Geld. In Syrien haben unabhängige Delegationen von Europaabgeordneten die gleichen deutschen und französischen Waffen bei allen dort involvierten Kriegsparteien vorgefunden und auch darüber wird man reden müssen, wenn die erste Phase der Trauer über die vielen Opfer von Paris vorbei ist.

Wir sollten uns davor in Acht nehmen, jetzt lauthals nach einem neuen „Krieg“ zu rufen. Es sei denn, wir wollen, dass sich Paris als Endlosspirale wiederholt. Natürlich werden Maßnahmen gegen die Terroristen des IS getroffen werden müssen, doch, so schwierig das auch ist, müssen diese mit kühlem Kopf überlegt und durchgeführt werden. Wer jetzt den geifernden Populisten hinterher läuft und das Hohelied des Krieges singt, der wird morgen genau das erleben – einen echten Krieg. Der millionenfaches Leid verursachen wird. Genau wie die anderen Weltkriege, deren Beendigung wir heute weltweit als Feiertag begehen. Auch, wenn es in der aktuellen Situation nicht leicht fällt, dieses Prinzip aufrecht zu erhalten, doch die Devise „nie wieder Krieg“ darf durch die Anschläge krimineller Terroristen nicht ausgehebelt werden. Das wäre nämlich genau das, was diese Mörder erreichen wollen.

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