Wie wir Griechenland zu Tode gerettet haben

Das Auslaufen der „Rettungsprogramme“ für Griechenland wird überall als Erfolg gefeiert. Doch tatsächlich haben wir Griechenland zu Tode gerettet. Und die Banken haben dabei prächtig verdient.

Europa hat den griechischen Premier Alexis Tsipras gezwungen, seine heiligsten politischen Prinzipien zu verraten. Foto: DonkeyHotey / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0

(KL) – Mit viel Pomp wurde diese Woche das Auslaufen der griechischen „Hilfsprogramme“ gefeiert. Acht Jahre lang hing Griechenland am finanziellen Tropf verschiedener europäischer Institutionen wie dem Europäischen Stabilitätsfonds ESM und anderen, doch die Ergebnisse des nun so medienwirksam gefeierten Auslaufens der „Hilfsprogramme“ sind mehr als ernüchternd – Griechenland liegt am Boden. Europäische Beamte haben das Land durch extreme Sparmaßnahmen wirtschaftlich, gesellschaftlich und moralisch erdrosselt. Die „europäische Hilfe“ hat vor allem einer unter speziellem Artenschutz stehenden Branche genutzt: europäischen Großbanken.

Dank der europäischen „Hilfe“ ist nun die Arbeitslosigkeit durch den Verlust einer Million Arbeitsplätze auf das Doppelte gestiegen. Die Jugendarbeitslosigkeit erreicht vor allem in den städtischen Bereichen schwindelerregende Rekordwerte. Die systematisch gewordene Perspektivlosigkeit drückt auf die Stimmung im Land, die laut Umfragen so pessimistisch ausfallen wie lange nicht mehr. Teile des Gesundheitssystems funktionieren nun noch per Bargeld, was für viele Betroffene katastrophale Folgen hat, vor allem, wenn man bedenkt, dass seit Beginn der europäischen „Hilfe“ Renten und Löhne um rund ein Drittel gesunken sind.

Und haben die weisen Ratschläge der Brüsseler Troika Griechenland die strukturellen Verbesserungen gebracht, mit denen das Land wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt? Brüssel sagt „ja!“ und verweist auf ein zaghaftes Wachstum von 1,4%. Doch angesichts des zuvor stattgefundenen Absturzes ist dies nur ein Tropfen auf den heißen Stein, denn gleichzeitig sorgen zwei Phänomene dafür, dass Griechenland Jahrzehnte und eine ganz andere Art der Hilfe bräuchte, um den Schaden wieder gutzumachen.

Zum einen ist die Verschuldung Griechenlands nicht etwa gesunken oder hätte sich stabilisiert, sondern sie ist stark gestiegen. Betrug die Schuldenquote Griechenlands 126 % des BIP, so beläuft sie sich heute auf rund 190 %. Das zaghafte Wachstum von 1,4 % zeigt zwar die Richtung, nicht aber die Realität. Nachdem nämlich in der gleichen Zeit das Bruttoinlandsprodukt BIP um ungefähr ein Viertel gesunken ist, bedeuten diese Zahlen, dass es Jahrzehnte dauern wird, bis Griechenland alleine den Zustand vor der Krise wieder zu erreichen.

Ein großer Teil der rund 300 Milliarden Euro, die in diesen acht Jahren Griechenland als Kredite gewährt wurden (nein, niemand hat Griechenland etwas geschenkt), ging postwendend zurück an deutsche, französische und europäische Großbanken, die für die „risikobehafteten“ Griechenland-Kredite enorm hohe Zinsen verlangten. Das „Risiko“ für die Banken war dabei allerdings überschaubar: Im Wissen um die Absicherung dieser Kredite durch die institutionellen Finanzinstitute, fiel es den Banken leicht, a) bereitwillig die Griechenland-„Hilfstranchen“ zu finanzieren und b) marktferne Zinssätze durchzusetzen. Griechenland, permanent durch den drohenden Staatsbankrott und das Ausbleiben von Löhnen und Gehältern und damit dem Zusammenbruch der öffentlichen Dienste bedroht, hatte keine andere Wahl, als die Bedingungen der europäischen „Geldgeber“ zu akzeptieren. Alexis Tsipras, der sich vom ultralinken Advokaten eines neuen griechischen Wegs zum gebückten Realpolitiker wandelte, um sein Land vor dem vollständigen Chaos zu bewahren, musste seine heiligsten politischen Prinzipien und Versprechen vergewaltigen. Wolfgang Schäuble war mit dem radikalen Schnitt in Griechenland und dem damit verbundenen Neuanfang nicht einverstanden. Stattdessen wurden die Filetstücke der griechischen Wirtschaft, also die Unternehmen, die noch Gewinne erwirtschafteten, privatisiert, wie beispielsweise der Hafen von Piräus, der nun unter chinesischer Kontrolle steht. Dass damit dem Staat auch die letzten noch funktionierenden Einnahmequellen wegbrachen, hat katastrophale Auswirkungen auf die weitere Entwicklung.

Man sollte das Auslaufen der „Hilfsprogramme“ für Griechenland weder feiern, noch für eine irreführende Kommunikation nutzen. Wir haben Griechenland nicht gerettet, sondern lediglich dafür gesorgt, dass sich unsere Großbanken und deren Aktionäre eine goldene Nase verdienen konnten. Den Preis dafür zahlen erneut die griechischen Bürgerinnen und Bürger. Das ist nichts, worauf Europa stolz sein kann. Doch angesichts der wirtschaftlichen Verzweiflung, die durch die europäische „Hilfe“ noch einmal deutlich verschärft wurde, ist es wahrscheinlich, dass das Thema schnell wieder auf die Tagesordnung kommt. Spätestens dann sollte man ernsthaft darüber nachdenken, ob der lange diskutierte Schuldenschnitt, also das simple Streichen zumindest eines großen Teils der griechischen Staatsschulden nicht für alle Beteiligten der sinnvollste Weg wäre. Zum einen könnte man wirklich einen Schnitt machen, zum anderen könnte sich Griechenland tatsächlich schneller erholen als in der aktuellen, desolaten Situation. Nach all dem Schaden, den wir dort angerichtet haben, wäre eine solche Lösung eigentlich das Mindeste…

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