“60 bis 80 Prozent Schreibarbeit”

Der Polizeiberuf ist eine echte Herausforderung mit Licht und Schatten.

Annika (links) im Gespräch mit der Polizei-Einstellungsberaterin Sylvia Awenius. Foto: Bicker

(AS) – Die Polizei, Dein Freund und Helfer – diesen Slogan kennt wohl Jeder. Doch ist der Polizeiberuf ein Beruf wie jeder andere auch, oder ist er nicht doch völlig anders? Und welche Vor- und Nachteile hat dieser Beruf, wenn sich ein junger Mensch zum Beispiel hierfür bewerben will? Mit diesen Fragen im Gepäck marschierte unsere Praktikantin Annika Sauer schnurstracks ins Freiburger Polizeipräsidium, zur Einstellungsberaterin Silvia Awenius, die den Rang einer Kommissarin bekleidet.

Frau Awenius, wie sind Sie selbst zum Polizeiberuf gekommen?

Mich hat der Polizeiberuf schon immer interessiert, auch schon als junge Schulabgängerin. Aber  damals, das war etwa 1985, gab es noch keine Frauen bei der Polizei und somit habe ich mich erst für eine Bankausbildung entschieden. Ich habe zunächst zehn Jahre bei einer Bank gearbeitet und bin dann später zur Polizei umgestiegen.

Wie kommt man eigentlich zur Kriminalpolizei?

Zur Kriminalpolizei kann man sich nach dem Studium in den gehobenen Polizeivollzugsdienst bewerben. Egal, welcher Tätigkeit man nach der Ausbildung nachkommt, es führt aber alles über die Ausbildung in den Polizeivollzugsdienst. Es gibt die Laufbahn im mittleren und im gehobenen Dienst, und für die Kriminalpolizei brauche ich zwingendermaßen die Ausbildung bzw. ein Studium zum gehobenen Dienst.

Wie ist denn das Verhältnis vom Außendienst zur Büroarbeit?

Wir sind sowohl auf der Straße tätig, als auch im Büro. Zwischen 60 und 80 Prozent beträgt der Anteil an der Büroarbeit. Das gilt auch für Streifenbeamte, die Schichtdienst auf der Straße leisten. Denn alles was wir tun, jeder Einsatz und jede Lage, muss dokumentiert werden.

Wie sehen die Arbeitszeiten aus? Gibt es in jedem Fall Schichtdienst? Und gehören Überstunden zum Pflichtprogramm?

Es gibt bei uns sowohl als auch: Wir haben Schichtdienstmodelle und wir haben einen geregelten Tagesdienst. Wir haben alle grundsätzlich eine 41-Stunden-Woche. Ob diese jetzt im Schichtdienst oder im Tagesdienst verrichtet wird, kommt darauf an, welcher Tätigkeit man nachkommt. Der Schichtdienst arbeitet verzahnt, das ist unser Streifendienst. Denn die Polizei muss schließlich 24 Stunden erreichbar und einsatzfähig sein. Es kommt bei uns häufig vor, dass wir Überstunden leisten. Wenn ich in einem Fall beschäftigt bin, kann ich ja nicht einfach sagen, dass ich jetzt Feierabend habe. Dann muss man den Vorgang fertig bearbeiten, seine Maßnahmen zu Ende führen und noch den Bericht anfertigen. Jede Überstunde wird mir auf einem Zeitkonto vergütet und die kann ich irgendwann als Freizeit in Anspruch nehmen; es gibt auch bestimmte Phasen im Jahr, in denen die Überstunden ausbezahlt werden können.

Lässt sich das Privatleben strickt von der Arbeit trennen oder wird es vom Beruf beeinflusst?

Es lässt sich trennen. Jeder Mensch ist anders. Wir haben natürlich mit vielen verschiedenen Dingen des Lebens zu tun. Ein Polizeibeamter  sollte eine stabile Psyche haben – nur merkt man oftmals erst im Laufe des Dienstlebens, wie man mit manchen Situationen umgehen kann. Darüberhinaus kann es  einen auch belasten, dass man oft mit schlimmen Fällen zu tun hat. Aber man versucht das dann einfach am Arbeitsplatz zurückzulassen. Wenn aber dennoch ein wirklich schlimmer Fall derart belastend ist, dass ich meine Tätigkeit nicht mehr ausführen kann, dann kann man sich innerhalb der Polizei verändern.

Was muss man denn für den Beruf alles können?

Ganz wichtig ist zunächst: Wer Polizeibeamter werden will, der braucht unbedingt eine gute Kommunikationsfähigkeit. Denn das ist unsere wichtigste Waffe. Die Kommunikationsfähigkeit kann viele Situationen entschärfen oder man kann deeskalierend wirken. Und Teamarbeit ist sehr wichtig, denn bei uns geht alles nur im Team, wir machen alles nur zu zweit. Eine stabile Psyche kommt noch dazu, außerdem muss man physisch fit und möglichst auch sportlich sein. Der Sport wird bei uns sogar ausdrücklich gefördert.

Wie viele Fälle muss ein Polizist pro Jahr bearbeiten und wie viele davon werden aufgeklärt?

Es gibt Fälle, die extrem aufwendig sind. Es gibt zum Beispiel Verfahren, die fünf Jahre dauern. Ich habe früher im Bereich von häuslicher Gewalt und Stalking gearbeitet, und mit meinem Kollegen im Revier Freiburg-Süd hatten wir pro Jahr rund 700 gemeldete Fälle in diesem Bereich. Bei rund 350 davon mussten wir dann auch offiziell ermitteln. Im Bereich der häuslichen Gewalt haben wir aber eine sehr hohe Aufklärungsrate, weil wir dort in der Regel den Täter kennen. In anderen Bereichen gibt es mehr Fälle, die nicht aufgeklärt werden können, zum Beispiel beim Fahrraddiebstahl.

Waren Sie bei einem Einsatz schon mal in Gefahr?

In großer Gefahr war ich letztlich nicht, obwohl ich ein Mal nach einem Raubüberfall geglaubt hatte, die Täter vor mir zu haben. Wenn man ein Mal die Waffe gezogen hat, dann vergisst man das nicht. In dem Fall war es aber eine Verwechslung, die sich dann schnell geklärt hatte.

Können Sie mir zum Schluss noch ein paar positive und auch negative Seiten Ihres Berufs nennen?

Auf der negativen Seite ist einmal der Schichtdienst, das liegt nicht jedem. Und wir haben immer mit Problemen zu tun, wenn die 110 gerufen wird,  denn die Menschen haben in der Regel Angst, Panik, Stress oder einen Konflikt – und wir müssen das lösen. Positiv kann ich sagen, dass es ein unheimlich vielseitiger Beruf ist. Ich behaupte auch, dass jeder hier seinen Platz findet. Die Fähigkeiten, die man vielleicht für manche Bereiche hat, die lernt man erst  im Laufe der Dienstzeit kennen, da entwickeln sich oft ungeahnte Richtungen. Und: Wir sind ein tolles Team. Was ich zudem als sehr positiv empfinde, ist, dass Frauen hier genau das gleiche wie die Männer verdienen. Und der Beruf ist einfach spannend, wir haben Einblicke in ganz schlimme  Dinge, und das macht es gerade aus. Positiv ist natürlich auch, dass wir einen krisensicheren Job haben, weil wir Beamte sind und letztlich immer Polizei gebraucht wird. Und ich arbeite immer mit Menschen, die für mich im Mittelpunkt stehen. Aber: Wir haben auch mit Menschen zu tun, die man vielleicht in seinem Privatleben lieber nicht sehen möchte.

Wie sieht denn im Moment die Einstellungssituation aus?

Die Polizei Baden-Württemberg stellt künftig verstärkt Nachwuchs ein. In den Jahren 2017 und 2018 werden jeweils 1.400 Anwärter eingestellt. In diesem Jahr sind es zum Vergleich 800; im kommenden Jahr 2016 sind es bereits 1.100.

Frau Awenius, vielen Dank für diese Einblicke!

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste