Afghanistan – die Taliban sind in Kabul

Die Taliban rücken auch in Kabul ein. Das Leben von Tausenden afghanischer Ortskräfte der Bundeswehr und der US Army ist in Gefahr. Evakuierungen sind praktisch nicht mehr möglich.

So ist das Leben ab heute wieder in Kabul - ein Sitten- und Religionswächter verprügelt eine Frau, die es gewagt hatte, die Burka abzunehmen. Foto: RAWA / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Die Taliban sind in Kabul und kontrollieren damit ganz Afghanistan. Nach Berichten von Augenzeugen rückten sie kampflos in die Stadt ein. Aus anderen Quellen hiess es, es habe erste Angriffe auf den Flughafen gegeben, den westliche Truppen (noch) halten, als letztes Schlupfloch, über das man noch aus dem Land hinauskommen kann. Dadurch ist es praktisch nicht mehr möglich, Menschen aus der afghanischen Hölle zu evakuieren.

An Afghanistan haben sich im Laufe der Jahrhunderte alle Mächte die Zähne ausgebissen, die in diesem Land Einfluss nehmen wollten, beispielsweise um es, wie die Bundesregierung sagte, „in ein besseres Land zu verwandeln“. Aber die stolzen Afghanen hatten offenbar gar keine Lust, von westlichen Armeen in „ein besseres Land“ verwandelt zu werden. Der nun erfolgte Abzug der westlichen Armeen entwickelt sich allerdings zu einem Albtraum, der Tausende Menschenleben kostet und weiter kosten wird. Die Schuld für dieses Drama liegt natürlich bei den Taliban, aber auch bei den Westmächten, die einerseits mit der Terrororganisation verhandelten und andererseits die aufziehende Gefahr nicht wahrhaben wollten.

Dass die Taliban nun auch Kabul unter Kontrolle haben, bedeutet für Tausende lokale Mitarbeiter der Bundeswehr und anderer westlicher Armeen höchste Lebensgefahr. Dabei haben alle die Augen vor der Entwicklung im Land verschlossen, vor allem die Regierungen. Bereits im Juni beantragten die Grünen im Bundestag die sofortige Evakuierung der afghanischen Ortskräfte, was von CDU und SPD abgelehnt (!) wurde. Doch nun wird klar, dass die von der „zerknirschten“ Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer für den heutigen Montag angesetzte Evakuierungsaktion nur zu spät und unter dem Einsatz vieler neu zu entsendender Soldaten zu organisieren ist.

Wie sollen jetzt die afghanischen Ortskräfte nach Kabul gelangen? Die Bundeswehreinheiten waren in den nördlichen Regionen stationiert, dort, wo die Taliban bereits seit einigen Tagen das Kommando übernommen haben und da sie ebenfalls die „Ringstraße“ kontrollieren, die alle wichtigen afghanischen Städte verbindet (die heute allesamt in der Hand der Taliban sind), ist es faktisch nicht mehr möglich, sich als Flüchtling mit seinen Angehörigen bis zum Flughafen nach Kabul durchzuschlagen. Und selbst diejenigen, denen dieses Kunststücke gelingen sollte, werden wohl kaum über einen von den Taliban kontrollierten Flughafen nach Taschkent in Usbekistan ausreisen können, dort, wo Kramp-Karrenbauer ein „Evakuierungs-Hub“ einrichten will.

Noch vor wenigen Tagen wäre es möglich gewesen, eine Evakuierung über Kabul zu organisieren, selbst wenn es zu diesem Zeitpunkt bereits schwierig war, die Hauptstadt von den verschiedenen Provinzen aus zu erreichen. Aber heute?

Die Westmächte üben sich nun wieder im Säbelrasseln, die Bundeswehr will schnell wieder Soldaten schicken, die Briten auch und die Amerikaner drohen mit Militärschlägen, sollte der Abzug der US-Bürger gefährdet werden. Doch all diese Ankündigungen und Absichtserklärungen kommen zu spät. Tatsache ist, dass die Taliban das Land kontrollieren und dass alleine sie entscheiden, wer es lebend verlassen darf und wer nicht. Dass „ungläubige Kollaborateure“, als die sie die afghanischen Ortskräfte westlicher Armeen verfolgen, keine Chance haben, von den Taliban unbehelligt das Land zu verlassen, scheint klar zu sein.

Die Amerikaner, die in der gleichen Situation sind, versuchen es mit Geld und Drohungen. Nachdem die von amerikanischen und deutschen Emissären teuer erkaufte Zusage, amerikanische und deutsche Einrichtungen, Staatsangehörige und deren Helfer zu verschonen mit den ersten Massenhinrichtungen durch die Taliban hinfällig wurde, droht der US-Präsident Joe Biden jetzt mit „militärischer Vergeltung“. Und wie, bitteschön, soll die aussehen? Eine erneute Invasion dieses Landes, das sich durch die Jahrhunderte als unbezwingbar erwiesen hat?

Die Briten haben es versucht, die Amerikaner, die Russen, dann eine Koalition mehrerer Westmächte – und alle sind gescheitert. Und plötzlich denkt man wieder an den berühmten Satz, der den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr rechtfertigen sollte – „Wir verteidigen unsere Freiheit am Hindukusch“. Das haben wir natürlich nicht getan, dafür erleben wir aber jetzt genau das Drama, das die Amerikaner bei ihrer Flucht aus Vietnam erlebt haben. Es wäre wichtig, dieses katastrophale Kapitel der Bundeswehr und anderer Armeen präzise aufzuarbeiten. Dabei ist tragisch, das bis dahin Tausende Menschen ihr Leben verlieren werden, weil die Bundesregierung ihre Zusage der Evakuierung der afghanischen Ortskräfte nur zu einem sehr geringen Teil eingehalten hat. Die Verantwortung für die aktuellen Gemetzel der Taliban teilen sich die islamistischen Terroristen, Washington und Berlin.

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