Anderswo undenkbar

Damien Abad, der neue französische „Minister für Solidarität“, ist dabei, zum Symbol einer Pariser Politikerkaste zu werden, die der Hauptgrund für den Vertrauensverlust in die Politik ist.

Damien Abad, der neue Minister für Solidarität, klammert sich an seinem Sessel fest. Foto: Jean-Luc Hauser / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Vorweg: Solange der Mann nicht rechtskräftig verurteilt ist, gilt auch für ihn die Unschuldsvermutung. Doch zwei Frauen haben den neuen „Minister für Solidarität“ wegen Vergewaltigung angezeigt, was der Betroffene „mit aller Entschiedenheit“ zurückweist. Doch ist erstaunlich, dass solche Anschuldigungen und Verfahren in der französischen Regierung zumeist nur ein müdes Achselzucken auslösen. Wenn man bedenkt, dass Präsident Macron 2017 einen „neuen Politikstil“ angekündigt hatte, dann ist es erstaunlich, dass noch nie so viele Minister und Staatssekretäre wegen Verfehlungen aller Art ihr Amt aufgeben mussten. Die angekündigte „Beispielhaftigkeit“ der französischen Regierung ist ins Wasser gefallen und das trägt stark dazu bei, dass immer weniger Menschen wählen gehen.

Unterstützung erfuhr Damien Abad von zwei Ministerkollegen, die ebenfalls permanent im Zentrum von Skandalen stehen. Innenminister Gerald Darmanin klebt an seinem Ministerposten, obwohl ähnliche Vorwürfe gegen ihn erhoben werden und Justizminister Eric Dupond-Moretti ist eine Art juristischer Paradiesvogel, gegen den ebenfalls ermittelt wird, bei ihm wegen Amtsmissbrauch. Ob Solidaritätsnoten dieser beiden sehr hilfreich für Abad sind, bleibt dahingestellt.

Allerdings bleibt die Frage unbeantwortet, warum ein Minister in einer solchen Situation nicht sein Amt bis zur Klärung der Vorwürfe ruhen lässt. Im erst seit wenigen Tagen berufenen Kabinett tummeln sich nach wie vor Verantwortungsträger, gegen die Verfahren laufen und was in der französischen Bevölkerung ankommt, ist eine unglaubliche Vetterleswirtschaft, allerdings im Vergleich zu früheren Regierungen nicht mit Spitzenkräften, sondern mit einem Aufgebot, das bereits bei Amtsantritt auf dem letzten Loch pfeift. Seltsam ist aber, dass die französische Wählerschaft, zumindest derjenige Teil, der überhaupt noch wählen geht, diesen Vorgängen in geradezu blinder Devotion für den Präsidenten keinerlei Bedeutung zumisst.

Zum jetzigen Zeitpunkt kann niemand sagen, was an den Vorwürfen gegen Damien Abad dran ist, doch kann man jetzt bereits sagen, dass der Mann zumindest so lange als Minister untragbar ist, wie diese Vorwürfe nicht klar entkräftet sind. Und sollten sie sich bestätigen, dann gehört der Mann ins Gefängnis und nicht auf die Ministerbank.

Einzig die neue Premierministerin Elisabeth Borne scheinen die Vorwürfe gegen ihren Minister nicht kalt zu lassen. „Ich kann Ihnen versichern, dass wenn es neue Elemente gibt, dass wenn die Justiz erneut angerufen wird, wir alle erforderlichen Konsequenzen aus dieser Entscheidung ziehen werden“. Das klingt dann schon anders als bei Darmanin und Dupond-Moretti…

Das Konzept „Macht“ wird in Frankreich anders interpretiert als in anderen Ländern. „Macht“ bedeutet in Frankreich für die handelnden Personen, dass sie so ziemlich tun und lassen können, was sie wollen. Ohne dabei allzu große Konsequenzen befürchten zu müssen. Korrekt wäre es, würden die Minister, die solchen und anderen Vorwürfen ausgesetzt sind, bei denen die Justiz aktiv wird (denn dann liegt zumindest ein begründeter Anfangsverdacht vor), ihre Ämter ruhen lassen würden, bis zur Klärung dieser Vorwürfe. Die Tatsache, dass sich diese Minister auch noch gegenseitig Rückendeckung geben, ist ein Zeichen, dass sich in der „Macronie“ trotz vieler Ankündigungen nichts geändert hat, es sei denn, zum Schlimmeren.

Immerhin, wer bei den Parlamentswahlen am 12. und 19. Juni erneut für die Kandidaten und Kandidatinnen der Macron-Partei stimmt, der tut dies im vollen Bewusstsein um die Haltung der Regierungsmitglieder. Und niemand sollte dann in fünf Jahren erstaunt sein, wenn er oder sie feststellt, dass es auch in der zweiten Amtszeit Macron steil den Bach heruntergegangen ist. In anderen Ländern wäre es schlicht unmöglich, dass sich Politiker unter solchen Vorwürfen weiter an ihren Sesseln festklammern.

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