Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft

Das Jahr ist zwar noch nicht vorbei, doch wird sich auf politischer Ebene bis zum Jahresende nicht mehr viel tun. Bevor Portugal den EU-Vorsitz für sechs Monate übernimmt, ist es Zeit für eine Bilanz.

Viel mehr als dieses Logo wird von der deutschen Ratspräsidentschaft kaum in Erinnerung bleiben... Foto: https://hirschen.com / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Natürlich konnte niemand damit rechnen, dass die deutsche Ratspräsidentschaft vor allem von einem Thema überschatte wurde, der Covid-Krise. Diese drängte viele weitere Themen in den Hintergrund, wofür niemand etwas kann, doch fällt die europäische Bilanz unter dem deutschen Ratsvorsitz trotzdem ziemlich dünn aus. In zahlreichen Fällen zeigte die EU einmal mehr ihre Unfähigkeit zum Handeln, aber auch einen mangelnden Willen, sich von innen heraus zu reformieren.

Eine nüchterne Betrachtung führt zu einem niederschmetternden Ergebnis – die EU ist in einem erbärmlichen Zustand, kämpft um eine Daseinsberechtigung und ansonsten versagt sie überall dort, wo es wichtig wäre, Europa stark zu präsentieren.

Besonders ernüchternd ist die Entwicklung um den Ausstieg Großbritanniens aus der EU. Dies liegt zwar in erster Linie an den Briten, die seit viereinhalb Jahren durch die Gegend hampeln, gegen alles und für nichts sind und jetzt erst einmal staunend zusehen werden, wie im Rahmen des von ihnen so sehnlich gewünschten „Brexits“ erst die britische Wirtschaft und dann die Einheit des bislang Vereinten Königreiches den Bach ‚runtergehen werden. Auch die deutsche Ratspräsidentschaft hat es nicht geschafft, den „Brexit“-Verhandlungen eine andere Wendung zu geben. Und natürlich wurden diese viereinhalb Jahre von der EU vertan – eigentlich wollte diese ein „neues europäisches Projekt“ auf den Weg bringen, doch wurde in dieser Zeit nicht einmal damit begonnen, über ein solches Reform-Projekt nachzudenken.

Und wo wir gerade von den Briten sprechen – die EU hat es auch nicht geschafft, die Briten dazu zu bewegen, die Folterhaft Julian Assanges zu beenden, des in Großbritannien nach Einschätzung des UNO-Beobachters gefolterten Doyens der Whistleblower. Dabei ist es geradezu zynisch, wenn sich europäische Politiker damit brüsten, was sie alles zum Schutz von Whistleblowern unternehmen – das ist warme Luft und sonst gar nichts. Dass die EU es zulässt, dass ein Julian Assange in einem geographisch europäischen Land in Folterhaft sitzt, das ist eine Schande. Die EU hätte die Macht gehabt, Gespräche mit London von der Freilassung des zu Unrecht inhaftierten Julian Assange abhängig zu machen – aber es ist leider eine alte europäische Tradition, mit Diktatoren, Despoten und halbwahnsinnigen Führern zu kooperieren, bis diese von ihren eigenen Völkern vom Hof gejagt werden. Großbritannien ist da keine Ausnahme.

Doch nicht nur vor Boris Johnson, auch vor anderen zweifelhaften Führern ging die EU während der deutschen Ratspräsidentschaft auf die Knie. So wurde die Zustimmung zum europäischen Haushalt durch das faktische Zugeständnis an Polen und Ungarn „erkauft“, dass diese mehr oder weniger ungestört weiter gegen die Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit verstoßen dürfen. Das hat dann ungefähr die gleiche Qualität wie der Kotau vor Recep Tayyip Erdogan. Jämmerlich.

In der Flüchtlingsfrage hat die EU in den letzten sechs Monaten ebenfalls versagt. Weder gibt es einen funktionierenden Verteilungsschlüssel für in Europa ankommende Flüchtlinge, noch wurden Auffangzentren in Nordafrika eingerichtet. Stattdessen häufen sich die Zwischenfälle, bei denen Schiffe der Grenzschutzbehörde Frontex Flüchtlingsboote gewaltsam wieder in internationale Gewässer bugsieren, was ein Verstoß gegen internationales Recht darstellt. Doch solange die Flüchtlinge lautlos im Mittelmeer ertrinken, ist die EU zufrieden. Und finanziert weiterhin Warlords, Despoten und anderes Gesindel – Hauptsache, die halten uns die Flüchtlinge vom Leib.

Und die alles beherrschende Covid-Krise? Nüchtern betrachtet hat es die EU nicht geschafft, eine europäische Strategie zur Bekämpfung dieser Pandemie zu entwickeln. Doch die Vorstellung, eine Pandemie könne auf nationaler Ebene bekämpft werden, ist bereits seit dem Mittelalter und den Pest-Wellen widerlegt. Auch hier wurde Deutschland seiner Ratspräsidentschaft nicht gerecht.

Die Bilanz ist in der Tat ernüchternd und gießt Öl ins Feuer der Europa-Gegner, die in vielen Ländern immer zahlreicher werden. Da nützt es auch nicht viel, die Misserfolge in Erfolge umzudeuten, obwohl das natürlich mehr Freude macht, als sich vor die Presse zu stellen und das eigene Versagen einzuräumen. Auch, wenn sich die Protagonisten in diesen Tagen selbst auf die Schulter klopfen und sich eine „ausgezeichnete Arbeit“ attestieren, so muss man doch feststellen, dass die sechsmonatige Ratspräsidentschaft Deutschlands die EU nicht einen Zentimeter weiter bewegt hat. Im Gegenteil. Die EU ist weiter auf dem Weg, sich selbst abzuschaffen, da sie weiterhin in allen wichtigen Fragen versagt. Sie funktioniert eigentlich nur noch, wenn es darum geht, Banken und börsennotierten Unternehmen gigantische Summen zuzuschustern. Mit uns 500 Millionen Europäern und Europäerinnen hat das allerdings nicht viel zu tun.

Bleibt die Hoffnung, dass es die Portugiesen besser machen. Viel schlechter geht allerdings auch kaum noch…

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste