“Das dauert.”

Interview mit Birte Schöler vom Rechtsamt der Stadt Freiburg zur Flüchtlingsversorgung in der Breisgaumetropole.

400 ehrenamtliche Helfer auf 400 Flüchtlinge: Birte Schöler benennt Details und Herausforderungen in der Flüchtlingsarbeit. Foto: Arne Bicker

(AB) – „Uma“ ist eigentlich der Vorname einer amerikanischen Schauspielerin, die, bekleidet mit einem gelb-schwarzen Sportanzug, in einem Tarantino-Film reihenweise Gegner mit dem Schwert erschlägt. Im politischen Deutschland 2016 bezeichnet „Uma“ aber auch „unbegleitete minderjährige Ausländer“ – also vor Ort elternlose, jugendliche Flüchtlinge. Davon gibt es in Freiburg 180. Plus 3.735 weitere schutzsuchende Erwachsene in staatlichen Unterkünften. Wie mit ihnen umgegangen wird, welche Erfahrungen die Stadt Freiburg gemacht hat und wie die Pläne für die Zukunft aussehen – dazu hat „eurojournalist.eu“ die Juristin und stellvertretende Gesamtprojektleiterin Flüchtlingsversorgung in Freiburg, Birte Schöler, befragt.

Frau Schöler, die Stadt Freiburg macht von sich reden, weil sie Flüchtlingsunterkünfte in Holzmodul-Bauweise herstellen lässt. Sind Ihnen die Container ausgegangen?

Nein, es gibt durchaus noch Container. Wir werden diese auch weiterhin dort verwenden, wo wir nur weniger als fünf Jahre Nutzung haben, weil sich erst bei einem längeren Zeitraum die Holzbauweise rechnet. Tatsächlich hat sich hier in Freiburg eine Architektengemeinschaft zusammengetan und diese Bauweise entwickelt. Das wird nun von hier ansässigen Handwerksbetrieben hergestellt, also quasi maßangefertigt auf Wunsch der Stadt. Es gibt mittlerweile auch andere Städte und Landkreise, die in dieser Sache angefragt haben.

Welches sind die Vorteile?

Holz ist ein nachhaltiger Baustoff, außerdem sehen die Unterkünfte deutlich besser aus als Metallcontainer; das können Sie in Freiburg-Tiengen oder an der Gundelfingerstraße in Zähringen in Augenschein nehmen. Die Module sind zudem deutlich besser gedämmt als herkömmliche Container, sowohl was Wärme als auch was Lärm anbelangt. Das ist gut für die Wohnqualität und die Betriebskosten.

Die Zuweisungszahlen des Landes für die Stadt Freiburg lagen im Januar bei 409 Personen, im Februar bei 324, im März bei 337 und jetzt im April bei 134 Flüchtlingen – rechnet die Stadt mit einem weiteren Rückgang oder machen Sie sich auf einen erneuten Anstieg gefasst?

Sowohl als auch. Das Land hat signalisiert, dass es nicht mehr mit vollem Druck wie bisher zuweisen will. Das würde zu einem Rückgang führen. In welchem Maße, das können wir nicht sagen, auch nicht, ob es so bleibt. Keiner weiß, was mit der Libyenroute ist, ob die Balkanroute geschlossen bleibt oder wie sich der Pakt mit der Türkei weiter auswirkt. Deswegen können wir nicht die Bremse ziehen, sondern müssen weiter planen. Wir können aber Projekte zurückstellen, das heißt fertig prüfen und planen, aber zunächst zurückstellen, damit wir bei einer erneuten Krisensituation nicht ganz unvorbereitet sind. Was uns nämlich wahnsinnig viel Zeit kostet, sind Flächensuche und Projektierung; es macht daher Sinn, das jetzt schon anzugehen.

820 Menschen leben in Freiburg in Notunterkünften – was macht denn die vielbeschworene Integration in der Breisgaumetropole? Oder geht es nur darum, die Menschen trocken und sicher abseits von Bombenhageln unterzubringen?

In den letzten Monaten seit dem Ansturm im September, Oktober, lag die Priorität klar auf der Unterbringung, weil es unsere Pflicht war dafür zu sorgen, dass niemand obdachlos ist – und das war Aufgabe genug zu stemmen. Seit Oktober haben wir aber die Projektgruppe, die es für den Bereich Unterbringung schon vorher gab, um den Bereich ‚Integration‘ erweitert. Der letztgenannte Bereich hat viel gearbeitet. Dennoch ist das nicht ganz so einfach, wie man es sich vorstellt, weil das viel Vorlauf braucht. In Sachen Arbeitsmarktintegration ist der Sprachkurs elementar, dann sind auch praktischer Einsatz und Erhebung der Kompetenzen wichtig. Was können die Leute, die hier sind? Von städtischer Seite haben wir zudem Arbeitsgelegenheiten geschaffen, also Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge. Mit dem Pilotprojekt sind wir jetzt bei rund 120 Plätzen –  das sind niedrigschwellige Stellen in den städtischen Betrieben und Ämtern, damit man in den Arbeitsalltag reinfinden kann. Der nächste Schritt ist dann die Weiterqualifizierung, um die Menschen in Ausbildung und Arbeit vermitteln zu können. Gerade da, wo der persönliche Kontakt hergestellt wird, gibt es auch vermehrt Arbeits- oder Ausbildungsgelegenheiten, zum Beispiel bei Landwirten, meist durch die Vermittlung ehrenamtlicher Helfer. Diese Erfahrungen haben wir beispielsweise in den Ortschaften gemacht. Dennoch darf man sich da nichts vormachen: Das dauert. Genau wie mit den Sprachkursen – das braucht einfach Zeit.

Wie viele von den 3.735 Schutzsuchenden in städtischen Unterkünften machen denn aktuell einen Sprachkurs?

Das kann ich so genau nicht sagen. Seit Oktober 2015 wurden mehr als 1.000 offizielle Sprachkurse für den Level ‚A1‘ angeboten. Diese werden von der Arbeitsagentur oder der Stadt / Land finanziert. Die Kurse der Arbeitsagentur waren bislang auf diejenigen Herkunftsländer beschränkt, die eine hohe Bleibeperspektive haben wie Syrien, Iran, Irak, Eritrea. Stadt und Land haben Sprachkurse auch für die Menschen aus den übrigen Herkunftsländern angeboten. Außerdem gibt es viele ehrenamtliche Helfer, die ergänzend Sprachkurse anbieten. Aber insgesamt gibt es noch viel zu tun, auch in der Finanzierung.

Wie viele ehrenamtliche Helfer sind in Freiburg tätig?

Das kann man in der Summe gar nicht genau sagen, weil längst nicht alle organisiert sind. Wir haben aber mittlerweile in jedem Flüchtlingswohnheim einen Helferkreis. Diese Helferkreise haben eine mehr oder minder lose Struktur und sind auch mit der Sozialbetreuung in Kontakt. Wir haben seit Dezember auch ein dreiköpfiges Team im Büro für Migration, das bei der Koordination dieser Ehrenamtlichen unterstützt. In der Stadthalle gibt es zum Beispiel einen Helferkreis von rund 400 Personen für etwa genauso viele Flüchtlinge. Da sieht man auch, dass allein die Koordination der vielen Ehrenamtlichen, die da aus dem Boden geschossen sind, eine weitere Mammutaufgabe ist. Da bringt jeder Helfer andere Qualifikationen, Kompetenzen und Vorstellungen mit, die man erst mal zuordnen muss. Und immer wieder haben wir zu wenige Räume, nicht nur für die Unterbringung, sondern auch für das soziale Miteinander.

Was passiert mit diesen 180 UMAs, den unbegleiteten minderjährigen Ausländern in Freiburg – wie funktioniert deren Betreuung? Sind diese Jugendlichen einfach zwischen den anderen Flüchtlingen verteilt und werden von diesen beaufsichtigt?

Nein, das läuft komplett in der Zuständigkeit des Kinder- und Jugendamtes. Diese Jugendlichen sind nicht im “normalen” Flüchtlingssystem, sondern bekommen wie andere zu betreuende Minderjährige einen Betreuer gestellt. Die Jugendlichen leben auch in gesonderten Einrichtungen; sie sind nicht in normalen Flüchtlingswohnheimen untergebracht.

Wie schwerwiegend sind aus Ihrer Sicht kriminelle Delikte im und aus dem Umfeld der Flüchtlingsunterbringungen?

Wir beschäftigen uns mit diesem Thema und arbeiten da natürlich auch mit der Polizei zusammen. Die Polizei hat Ansprechpartner für das Thema Flüchtlinge benannt, die anbieten, auch einfach mal so in die Unterkünfte zu kommen, um zu beraten oder nach dem Rechten zu sehen. Für die Flüchtlinge und die Sozialarbeiter ist es wichtig zu wissen, wer zuständig ist und dass auch bei kleinen Delikten jemand kommt. Das meiste spielt sich im Bereich der Kleinkriminalität ab, Vieles auch innerhalb der Wohnheime, und davon wiederum ist Vieles sicherlich der äußerst beengten Situation in den Unterkünften geschuldet. Das heißt, wenig Privatsphäre, verschiedene Kulturen und traumatische Erfahrungen treffen hier leider zusammen. Dass Kriminalität nach Außen tritt, ist nach unseren Erfahrungen eher selten der Fall. Wo das geschieht, werden besondere Sicherheitsvorkehrungen ergriffen. Zudem werden die Straftaten selbstverständlich wie bei jedem anderen Bürger von der Polizei verfolgt.

Was hat Sie im direkten Kontakt mit der Flüchtlingsarbeit in Freiburg am meisten bewegt?

Vielleicht klingt das unerwartet, wenn ich jetzt nicht auf die Schicksale der Flüchtlinge eingehe. Aber ich spreche oft mit Menschen, die einzelnen Flüchtlingsunterkünften sehr, sehr kritisch gegenüberstehen. Ich weiß nicht, woher die Leute meine Durchwahl haben, aber sie haben sie. Da rufen Nachbarn an, die mitbekommen, dass bei ihnen eine Flüchtlingsunterkunft geplant ist. Die sind häufig ganz aufgewühlt. Viele sind dabei, die diese klassische Haltung verkörpern: ‚Könnt ihr gerne machen, aber bitte nicht bei mir‘, oder ‚ich habe Angst, dass meine Wohnung an Wert verliert‘. Da existieren wirklich ganz verschiedene Sorgen. Aber ich habe die Erfahrung gemacht – wenn man sich mit den Leuten eine halbe Stunde lang hinsetzt und ihnen erklärt, dass wir in Not sind und trotzdem abwägen und Pläne dahinterstehen, und dass auch die Menschen, die kommen, in Not sind – dass dann fast Alle im Nachhinein ein gewisses Verständnis haben, auch wenn sie nicht begeistert sind. Das finde ich schön, weil man nach jedem solchen Gespräch auch weiß, warum man diese Arbeit macht.

Na, dann auch für dieses Gespräch besten Dank.

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