Das Ende der deutsch-französischen Solidarität?

Frankreichs Premierminister Manuel Valls macht in der Flüchtlingsthematik eine tiefe Verbeugung vor dem rechtsextremen Front National und lässt Angela Merkel im Regen stehen.

Der französische Premierminister Manuel Valls hält nicht viel von der "Achse Paris-Berlin". Was politisch ziemlich kurzsichtig ist. Foto: Briand / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Gäbe es eine Steigerung des Adjektivs „alleine“, dann würde sie auf Bundeskanzlerin Angela Merkel zu treffen. Denn die ist mittlerweile, auch, wenn das sprachlich nicht korrekt ist, mehr als alleine. Denn am Wochenende hatte es der französische Regierungschef Manuel Valls für nötig gehalten, Deutschland mitzuteilen, dass Frankreich keinesfalls den „deutschen Kurs“ in der Flüchtlingsfrage mitzugehen bereit sei. Man habe, so Valls bei seinem Besuch der Weltsicherheitskonferenz in München, immerhin 30.000 Flüchtlinge aufgenommen und das reiche. Mehr würde Frankreich nicht aufnehmen. Punkt. Ende der Durchsage.

Bei einem gemeinsamen Besuch einer Aufnahmestelle fand Valls Position den ungeteilten Beifall der bayrischen Sozialministerin Emilia Müller (CSU), die das Schreckgespenst eines erneuten Anstiegs der Flüchtlingszahlen an die Wand malte, „wenn erst das Wetter wieder schön wird“. Was Emilia Müller dabei ebenso verkennt wie der französische Regierungschef, ist der Umstand, dass es sich bei den Flüchtlingen aus Syrien nicht um „Sommerfrischler“ handelt, sondern um Kriegsopfer, die vor den Bombardierungen ihrer Städte und Dörfer flüchten, bei denen sich gerade die Großmächte und diejenigen, die es gerne wären, ihre Frustration über das Phänomen des Terrorismus von der Seele bomben. Dabei gehen die Kriegsparteien ungeheuer plan- und erfolglos vor – der einst nach den Anschlägen auf das WTC in New York von den Amerikanern lancierte „Krieg gegen den Terrorismus“ hat in mehr als 14 Jahren das Problem nicht nur verstärkt, sondern Millionen zivile Opfer das Leben gekostet oder sie in die Migration getrieben. Der „Krieg gegen den Terrorismus“ hat das Phänomen nicht nur nicht besiegt, sondern weiter befeuert.

Jetzt macht es sich Frankreich aber ziemlich einfach – Bomben auf Syrien werfen, aber keine Flüchtlinge aufnehmen wollen: Versucht Manuel Valls gerade, einen Wettkampf mit den Regierungschefs der „Visigrad-Staaten“ Polen, Ungarn, Tschechische Republik und Slowakei aufzunehmen, um zu ermitteln, wer der größte Feind der europäischen Solidarität, der europäischen Werte und des europäischen Humanismus ist?

Valls hat nicht das Format, um einen Viktor Orban oder einen Robert Fico bei diesem Wettbewerb ernsthaft zu gefährden, doch ist bemerkenswert, dass der französische Premier damit die „Achse Paris-Berlin“ in der entscheidenden Frage zu Europas Zukunft aufkündigt. Statt im Vorfeld des Europagipfels Einigkeit zwischen Frankreich und Deutschland zu demonstrieren, verabschiedet sich Valls, ausgerechnet in München, von einer gemeinsamen europäischen Perspektive. Der einzige Grund für dieses Handeln könnte eigentlich nur sein, daheim in Frankreich den Wählerinnen und Wählern zu suggerieren, dass Valls und seine sozialistische Partei diese Themen im Griff hat und man daher 2017 nicht unbedingt den Front National wählen muss, wenn man gegen die Aufnahme von Flüchtlingen ist.

Aber wie kurz ist eigentlich das europäische Gedächtnis? In den letzten hundert Jahren hat es in jedem einzelnen EU-Mitgliedsstaat Situationen gegeben, in denen Menschen flüchten mussten, da sie aufgrund politischer oder gesellschaftlicher Konstellationen an Leib und Leben gefährdet waren. Zum Glück funktionierte die Flucht zumeist und die Flüchtlinge konnten anderswo ein neues Leben in Sicherheit beginnen. Dieses im internationalen Recht verankerte Grundrecht, nämlich im Kriegs-, Bürgerkriegs- oder Unterdrückungsfall flüchten zu dürfen und aufgenommen werden zu müssen, will Manuel Valls nun gemeinsam mit den Neonationalisten aus dem Osten Europas aushebeln. Ob er sich für seine eigene politische Zukunft die richtigen Partner ausgesucht hat, wird sich spätestens 2017 zeigen.

Der kommende Europagipfel wird für Angela Merkel eine einsame Veranstaltung werden. Man wird dort über den „Brexit“ sprechen, über die Weigerung der Osteuropäer und Frankreichs, Kriegsopfern aus Syrien ihre Grundrechte zu gewähren und es wird keinerlei gemeinsame und mehrheitsfähige Positionen geben. Nachdem die Regierung Valls bereits nicht in der Lage war, die Probleme Frankreichs in den Griff zu bekommen, versucht sie sich jetzt daran, auch die Zukunft Europas zu gefährden. Da stellt sich die Frage, warum sich eigentlich Angela Merkel und François Hollande in Straßburg getroffen haben, um diesen Gipfel vorzubereiten, während gleichzeitig sein Premierminister die einzig wirksame Achse Europas, nämlich die zwischen Paris und Berlin, im Handumdrehen aufkündigt. Was immer Manuel Valls damit auch beabsichtigt, eines ist klar: Es wird nicht funktionieren. Womit zumindest die politische Kontinuität dieser unglücklichen Regierungsjahre seit 2012 gewährleistet wäre.

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