Der fromme Herr Orban

Der ungarische Regierungschef Viktor Orban blockiert das nächste Sanktions-Paket gegen Russland. Mit einer Begründung, die deutlich zeigt, dass Ungarn nicht zur EU gehören kann.

So wohl, wie sich Viktor Orban mit seinem Kumpel Putin fühlt, sollte Ungarn schleunigst die EU verlassen. Foto: Kremlin.ru / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Es waren lange und zähe Verhandlungen um das neue Sanktions-Paket gegen Russland. Damit es unter dem elenden Diktat der europäischen Einstimmigkeit überhaupt zu einem Ergebnis kommen kann, akzeptierten 26 EU-Mitgliedsstaaten, dass Viktor Orban und Ungarn das Paket derart verwässern, dass es eher symbolisch als effizient ist. So setzte Orban durch, dass das Embargo für russisches Öl nicht für Lieferungen gilt, die per Pipeline erfolgen. Das ist praktisch, denn Ungarn bezieht sein Öl aus Russland natürlich per Pipeline. Doch bevor es wenigstens zu diesem Minimalkonsens kommen konnte, fiel Viktor Orban noch etwas anderes ein – nämlich dass er ein sehr frommer Mensch ist und es sich daher nicht vorstellen kann, den Kriegstreiber und Chef der russischen Orthodoxen, Patriarch Kirill, auf die Sanktionsliste zu setzen. Also alle zurück auf Los. Und siehe da, plötzlich sind sich 26 andere Staaten einig, dass Kirill gar nicht auf die Sanktions-Liste muss.

Das Ungarn von Viktor Orban scheint große Schwierigkeiten zu haben, eindeutig festzulegen, ob man sich eher der europäischen oder der russischen Sphäre zugehörig fühlt. Das ist das gute Recht von Ungarn, nur hat das Land unter diesem Regierungschef nichts mehr in der EU verloren. Denn die EU ist mehr als ein Selbstbedienungsladen, aus dem man satte Subventionen abholt, während man gleichzeitig seinen „Partnern“ ein ums andere Mal einen Mittelfinger entgegen streckt. Das Verhalten Ungarns ist unsolidarisch mit dem Rest Europas und schwächt natürlich auch die europäischen Positionen. Wladimir Putin lacht sich ins Fäustchen, wenn er sieht, wie Ungarn, aber auch Beitrittskandidaten wie Serbien, seine Politik unterstützen und offen gegen die Interessen der EU agieren.

Pandemie und Ukraine-Krieg legen schonungslos die internen Probleme der EU offen. – Praktisch jeder erkennt heute, dass die europäischen Institutionen mit einem Regelwerk arbeiten, mit dem sie sich permanent selber lähmt. Die EU ist nicht einmal in der Lage, Mitgliedsstaaten auszuschließen, die offen gegen den Staatenbund agieren, der sie am Ende des Tages sogar noch finanziert. Es ist allerhöchste Zeit, dass sich die EU von Grund auf reformiert, dass die beiden Institutionen, die es immer noch gewohnt sind, hinter verschlossenen Türen zu beraten, nämlich die Europäische Kommission und der Europäische Rat, deutlich weniger Gewicht erhalten und dass das Europäische Parlament endlich die Kompetenzen erhält, über die jedes nationale Parlament verfügt. Auch der Europarat sollte dringend aufgewertet werden, als eine Organisation, die seit ihrer Gründung unzählige Projekte in den 47 Mitgliedsstaaten durchführt, die alle darauf abzielen, die Demokratie zu stärken.

Die Hilflosigkeit der Mitgliedsstaaten gegenüber einem Land, das sich schützend vor den Kriegsaggressor Russland stellt, ist pathetisch. Es kann nicht sein, dass während dieses entsetzlichen Kriegs Mitgliedsstaaten und Beitrittskandidaten auf der Seite des Aggressors stehen und die übrigen Mitgliedsstaaten davon abhalten, entsprechende Sanktionen gegen den Kriegsverursacher zu ergreifen.

Nun rächt sich, dass die europäischen Institutionen nach dem Referendum über den Brexit 2016 nicht das getan haben, was sie damals angekündigt hatten: nämlich ein „neues europäisches Projekt“ zu entwerfen. Sechs Jahre sind seither ins Land gegangen, ohne dass zehntausende europäischer Beamter damit begonnen hätten, dieses „neue europäische Projekt“ auch nur in Angriff zu nehmen. Doch die Geschichte wartet nicht auf den Arbeitseinsatz europäischer Beamter, so dass die EU heute, trotz ihrer Bevölkerungszahl (ca. 500 Millionen Einwohner, gegenüber 144 Millionen russischer Bürger oder 330 amerikanischer Bürger), trotz ihrer Wirtschaftskraft, keine Rolle in der internationalen Politik spielt.

Die europäischen Institutionen müssen sich sofort daran machen, sich neu zu organisieren, denn Europa muss mehr sein als ein reiner Erfüllungsgehilfe der Finanzmärkte, mehr als ein treuer Vasall des großen Kapitals, mehr als ein Sparschwein für die Visegrad-Staaten. Ob man sich wohl in Brüssel darüber klar ist, dass die EU gerade dabei ist, sich überflüssig zu machen? Viel Zeit bleibt nicht, um die EU aufzustellen, dass sie wirklich sinnvoll handeln kann.

Dass die EU den orthodoxen Patriarchen Kirill auf die Sanktionsliste setzen wollte, war absolut richtig. Der greise Patriarch ist zum Dackel Putins geworden, rechtfertigt die „Spezialoperation“ in seinen Ansprachen und behauptet inzwischen sogar öffentlich, dass „Russland nie ein anderes Land angegriffen habe“. Wenn man bedenkt, welche Bedeutung die orthodoxe Kirche in Russland hat, muss man Kirill zu den übelsten Kriegstreibern in Russland zählen, der seinen Platz auf der Sanktionsliste „verdient“ hat. Gestern nun ist die EU erneut vor Viktor Orban eingeknickt und verzichtet nun auf die Sanktionen gegen Patriarch Kirill. Doch damit macht sich die EU lächerlich, da sie nicht in der Lage ist, jemanden wie Viktor Orban zu überstimmen. Doch was ist ein Staatenbund wert, der vor einem kleinen Despoten wie Orban in die Knie geht und diesen weiterhin finanziell über Wasser hält? Die Frage stellt sich, ob neben Kirill nicht auch Viktor Orban auf der Sanktions-Liste stehen müsste.

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