Der Nicht-Ort vor Ort – Festival Arsmondo „Utopie“

Einmal im Jahr geht die Rheinoper Straßburg auf Fernreise. Das Festival Arsmondo präsentiert die Kultur eines Landes, das meist nicht gleich um die Ecke liegt. Dieses Jahr geht es sogar bis ins Nirgendwo: an den Nicht-Ort der Utopie. Konzerte, Filme und gar eine Oper entführen in die Welt der guten Visionen und gut gemeinten Vorstellungen.

Unter der kunstvollen Decke des Straßburger Opernhauses, zu der es sich solange, bis die „Renovierung“ des Innenraumes sie vermutlich wegbetonieren wird, zu strecken gilt, soll nun erst einmal die Utopie konkret werden. Fotos: © Michael Magercord

(Michael Magercord) – „U“ heißt „nicht“, und „Topos“ ist der „Ort“: „U Topos“ hieß bei den alten Griechen ein Ort, der nirgends sein kann, der nämlich einem Ideal entsprach, das nicht von dieser Welt ist und trotzdem in sie hinein wirken soll. Sollte man diesen unwirklichen und doch so schönen Ort dennoch konkret verorten wollen, wo sonst als in den Künsten und ihren Musentempeln dürfte er zu suchen sein?

Der Regisseur und einstige Direktor des legendären Theaterfestivals in Avignon, Olivier Py, drückte es einmal bei einer Konferenz im Saal in der Straßburger Rheinoper so aus: Wenn auch nur ein Zuschauer eine Karte für eine Theater- oder Opernaufführung gekauft hat, dann ist eine Utopie konkret geworden.

Utopien hatten nicht immer den besten Leumund. Denn was oft ziemlich zaghaft mit einigen Visionen für eine bessere Wirklichkeit beginnt, kann sich am Ende zur rücksichtslosen Realität auswachsen. Das 20. Jahrhundert bot reichlich Anschauungsmaterial, wie schnell tausende Menschen in diesem Wandel von Idee zur Ideologie zum Kanonenfutter der brutalen Umsetzung der Visionen werden. Ein Altbundeskanzler mit eigener Weltkriegserfahrung riet allen, die an Visionen, den Vorboten aller Utopien und Ideologien, litten, zum vorbeugenden Arztbesuch.

Heute, wo doch die reale Welt ein Ort ohne allzu große Visionen zu sein scheint, sind die Zukunftsentwürfe der Utopie wieder etwas zugeneigter. Das Gutgemeinte soll so manches zum Guten wenden. Eine ideale Gesellschaft, in der sich alle Menschen bestens vertragen und gemeinsam Lösungen für die drängenden Probleme finden, beansprucht als feste Utopie einen Platz in der Welt. Den friedlichen Austausch zwischen Vorstellung und Wirklichkeit, dem idealen Nicht-Ort und dem Lebensumfeld zu organisieren, das ist es, was man dann wohl als die hohe Kunst der Politik bezeichnen dürfte.

Und als Spielfeld zur Übung und Testläufen für diese echte Kunst kann man dann durchaus die wahre Kunst der Musentempel verstehen. Sie sind die Orte, an denen mit den idealen Ideen ernst gemacht wird, ohne es ernst meinen zu müssen.

Das diesjährige Festival Arsmondo, das nun schon zum siebten Mal von der Straßburger Rheinoper organisiert wird, bietet nun dem Nicht-Ort einen Ort. In den Konzertsälen erklingen unterschiedlichster Musikstile, die alle einmal utopisches Potential hatten, vom Post-Punk über die Post-Moderne bis zurück in die Post-Romantik. Im Kino bieten Filme einen Blick auf Zukunftsutopien, von Fritz Langs „Metropolis“ über ein innovatives Schulprojekt bis auf den Mars der Cyber-Wirklichkeit. Man kann sich in die sonore Welt der Bienenvölker begeben oder bei Lesungen den Realitätsgehalt mittelalterlicher feministischer Utopien und der Jetztzeit-Utopie von einer Welt ohne Rassismus hinterfragen.

Das Festival bietet sogar so manche Chance zur Konkretisierung der Utopie, ohne sich zuvor eine Karte kaufen zu müssen, da etliche Veranstaltungen für ihre Besucher zwar kostenlos, aber eben trotzdem nicht umsonst sind – was auch für die Eröffnungsveranstaltung am 12. April im Lieu d’Europe nahe der Tramhaltestelle Boeklin in Straßburg gilt.

Der Höhepunkt des Festivals ist natürlich die Aufführung der nur selten gehörten Oper „Guercoeur“ von Albéric Magnard, die auf dem konkretesten aller Nicht-Orte, der Bühne, zum Leben erweckt wird. In Straßburg geschieht die konkrete Belebung des nur Vorgestellten in dem schönen Opernhaus, das einst im Jahre 1804 baulicher Ausdruck des Ideals der Künste war. Das Gebäude wird ja bald einer grundlegenden Renovierung ausgesetzt sein. Daran wie „concrete“, was zu Deutsch ja gleichsam „Beton“ heißt, dieser Umbau werden wird, wird sich erweisen, ob unsere derzeitigen Utopien noch immer „modern“ sind oder ob nicht gerade die vermeintlich modernen Utopien immer auch die altbackensten sind?

Festival ARSMONDO „Utopie“

Konzerte, Veranstaltungen und Filme zum Thema Nicht-Orte
vom 12. April bis 28. Mai
an unterschiedlichen Spielstätten in Straßburg, Mülhausen und Colmar

Eröffnungsveranstaltung

Lesung utopischer Texte von Schülern der Theaterhochschule des Nationaltheaters Straßburg
FR 12. April, 18.00 Uhr
Lieu d’Europe, Straßburg

Das komplette Programm und Tickets finden Sie HIER!

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