Im Fegefeuer der Liebesgeschichten

Unschuldig schuldig geworden saß die schöne Francesca in Dantes fünften Höllengesang im Fegefeuer, bei Boccaccio wurde sie zur Sünderin aus Gerechtigkeit, bei d’Annunzio schließlich ein unfreiwilliger Männertraum – und auf der Bühne der Straßburger Oper?

Mit diesem Ehemann ist alles etwas schwierig für die hübsche Francesca... Foto: Klara Beck / Rheinoper

(Von Michael Magercord) – Francesca aus Rimini und Paolo Malatesta sind das bekannteste Liebespaar Italiens und ihre Geschichte wird ab Freitag in der Straßburger Rheinoper dargeboten – es fragt sich nur welche? Denn – o tempora, o mores – die Erzählung dieser vertrackten Liebesbeziehung aus dem 13. Jahrhundert hat sich über die Epochen hinweg den herrschenden Sitten angepasst – und man darf gespannt sein, wie viel Poesie und Emotionen sie heute noch auf der Bühne hervorlocken kann, in diesen Zeiten von #MeToo und all  den anderen moralischen Verwerfungen zwischen den Geschlechtern.

Die nackte Story ist relativ schnell erzählt: Frau wird aus familiären Interessen verheiratet mit häßlichen, aber einflußreichen Mann. Angestachelt von der gemeinsamen Lektüre des Liebesromans Tristan und Isolde beginnen Schwager und Schwägerin eine Affäre. In seiner Rage erdolcht der gehörnte Ehemann beide, Frau und Bruder – finsteres Mittelalter halt.

Die Legende findet sich erstmals bei Dante Alighieri, dem Begründer der italienischen Literatur. In seiner „Göttlichen Komödie“ schmort das moralisch vermaledeite Liebespaar in der Hölle. Dort sollen sie sich zur Strafe ewiglich ihrem einstigen Glück nachtrauern. Fünfzig Jahre später wurde es bei Giovanni Boccaccio romantischer, also auch ungestümer. In seiner Version wird die Frau zum Aktivposten. Sie wurde unter Vorspiegelung des falschen Mannes an dessen hässlichen großen Bruder verkuppelt. Als sie in der Hochzeitsnacht dieses Umstandes Gewahr wurde, forderte sie Gerechtigkeit, sprich: den eigentlich nur vorgetäuschten feschen kleinen Bruder Paolo zu ihrem wahren Ehemann. Doch das Unglück nahm trotz ihrer Forderung – oder gerade wegen? – seinen Lauf.

Bei Gabriele d’Annunzio schließlich wird das Ganze zu einer dramatischen Männergeschichte. In der Version dieses letzten – wie man heute sagt – „Renaissancemensch“, bei dem Literatur und Leben eine Einheit bilden, wird die Frau zum Objekt der Begierde. Kein Wunder, denn dem Lebemann und Gewaltverherrlicher wird ein gewaltiger Frauenverschleiß nachgesagt. Um alle Facetten der Beziehungen der Geschlechter durchzuspielen, benutzt er die drei Brüder: den hässlichen Herrschsüchtigen, den Intriganten im Hintergrund und den wahrhaft Liebenden. Zwischen ihnen steht diese fast willenlos erscheinende Frau, die einem Familienstreit geopfert wird, und die gar nicht begreift, welchen emotionalen Wirbelsturm sie dabei unter den Männern entfacht.

Die Oper von Riccardo Zandonai, zu der d’Annunzio den Plot lieferte, wurde Anfang 1914 uraufgeführt. Wenig später entlud sich in Europa die angestaute Überspanntheit aus industriellem Produktionswahn und gesellschaftlichen Zerstörungsphantasien, die – getragen von Heldenkult und Ehrenkodex – die Welt in ein vierjähriges Gemetzel stürzte. Fast als hätte der Komponist diesem seltsam zerissenen Zeitalter ein musikalisches Denkmal setzen wollen, vereinen sich in seiner Musik Einflüsse von Wagner, Verdi und Debussy. Der Dirigent dieser Aufführung an der Rheinoper, Giuliano Carella, sagt es so: „Wir sind in Straßburg, also lasst uns diese Musik als europäische verstehen“.

Der Text sagt nicht alles, aber die Musik, meint auch die versierte Opernregisseurin Nicola Raab. Wie aber bringt man dann diese sich immer wieder wandelnde Legende auf eine heutige Bühne? Ihre Inszenierungsmethode beschreibt sie im aktuellen Magazin der Rheinoper als „Monochrome Abstraktion“. Es gilt, das Wesentliche zu zeigen und die Bühne und Gestik soweit zu reduzieren, bis alles raus ist, was nicht nötig ist, kurz: die Kunst, Leerstellen zuzulassen. Was bleibt? Im gelungenen Falle die Poesie, die sich in den Leerstellen entfaltet. Und das alles dann wieder zu einem Ganzen zu fügen, ist wiederum die Aufgabe des Zuschauers.

Was werden wir Zuschauer aus dem Poesie- und Emotionsangebot machen, das uns sich Regisseurin, Orchester und Sänger ab Freitag auf der Bühne in der Rheinoper zu Straßburg und im Januar in Mulhouse vorlegen? Wie werden wir die Deutungsleerstellen füllen in diesen heutigen Zeiten, die ein wenig an die Gemengelage aus Überproduktion und Überdruss vor gut einhundert Jahren erinnern? Vielleicht wäre es nicht einmal das Schlechteste, wenn wir zumindest für diesen einen Abend sie moralisch einfach einmal frei ließen.

Francesca di Rimini
Oper in vier Akten von Riccardo Zandonai aus dem Jahr 1914
Libretto von Tito Ricordi nach einem Theaterstück von Gabriele d’Annunzio

Regie: Nicola Raab
Musikalische Leitung: Giuliano Carella

Strasbourg – Opéra
FR, 8.12. – 20.00 Uhr
SO, 10.12. – 15.00 Uhr
DO, 14.12 – 20.00 Uhr
DI, 19.12. – 20.00 Uhr
SA, 23.12. – 20.00 Uhr
DO, 28.12. – 20.00 Uhr

Mulhouse – La Filature
SA, 6.1.2018 – 20.00 Uhr
MO, 8.1. – 20.00 Uhr

Informationen und Tickets:  www.operanationaldurhin.eu/

Ein erstes Vorabvideo finden sie hier: https://www.youtube.com/watch?v=8CfN5cPlocU

Und zusätzliche Veranstaltungen:

Direktorin Eva Kleinitz spricht mit Giuliano Carella
Opéra – Salle Paul Bastide
SA, 2.12. – 18.00 Uhr

Konferenz mit Giuliano Carella und Nicola Raab
in der Buchhandlung Kléber
DO, 7.12. – 18.00 Uhr

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