Der Spion in der Hosentasche

Der französische Überwachungsstaat nimmt immer bedrohlichere Formen an. Ein neues Gesetz erlaubt den Behörden, auf die Kameras und Mikrophone der Smartphones der Franzosen zuzugreifen.

Bis hinein ins Schlafzimmer darf in Frankreich künftig überwacht werden. Foto: Japanexperterna / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0

(KL) – Künftig sind die Franzosen nie mehr allein – der Staat begleitet sie dann auf Schritt und Tritt. Justizminister Eric Dupond-Moretti hat ein Gesetz durchgebracht, das es den Behörden erlaubt, aus der Distanz die Kamera und die Mikrophone der Smartphones der Franzosen zu aktivieren und mitzuschauen und mitzuhören. Selbstverständlich müssen die Personen, die so überwacht werden, darüber nicht informiert werden. Das Argument der Law&Order-Fraktion, dass das ja niemanden stören muss, der sich nichts vorzuwerfen hat, ist jämmerlich – und offenbar bekommt in Frankreich kaum jemand diese Transformation in einen digitalen Überwachungsstaat mit.

Die Gelegenheit war günstig, ein solches Gesetz durchzudrücken. Obwohl die Macron-Partei „Renaissance“ aka „La République en marche“ nicht über die erforderliche Mehrheit im Parlament verfügen, können sich die Macronisten inzwischen auf ihre Erfüllungsgehilfen bei den Konservativen verlassen, deren Chef Eric Ciotti inhaltlich den Rechtsextremen näher steht als der früheren Positionierung als Mitte-Rechts-Partei der „Les Républicains“.

Künftig darf also der Staat auf jedes Smartphone zugreifen, wenn er das für angebracht hält. Jedes Gespräch, jeder Gang in die Stadt oder Reisen, können dann überwacht, aufgezeichnet, gespeichert und analysiert werden. Eine gesellschaftliche Debatte zu dieser einschneidenden Änderung hat es natürlich nicht gegeben, denn in Frankreich begreift sich die Regierung nicht etwa als „Angestellte“ der Bevölkerung, sondern sie herrscht über das Volk, das mit arroganter Geringschätzung von oben herab behandelt wird. Mit Dingen wie „Demokratie“ hat das alles nichts mehr zu tun, doch die Franzosen werden diesen „digitalen Totalitarismus“ noch teuer bezahlen.

Bereits bei den nächsten Wahlen wird das seit 20 Jahren prächtig funktionierende „wählt mich, sonst gibt’s eine oder einen Le Pen“ nicht mehr greifen. Die Franzosen sind angesichts der unglaublichen Demokratie-Defizite dieser Regierung bereit, es mit den Rechtsextremen zu versuchen, nach dem Motto „schlechter können die es auch nicht machen“. Doch kann es einem kalt den Rücken herunterlaufen, wenn man überlegt, dass die nächste, rechtsextreme Regierung über ein Arsenal an Werkzeugen der Überwachung und der Unterdrückung verfügen wird, mit dem die Macronie verzweifelt versucht, sich irgendwie an der Macht zu halten, nachdem die Franzosen gemerkt haben, was sie da eigentlich gewählt haben (beziehungsweise nicht gewählt haben, denn bei einer höheren Wahlbeteiligung wäre Macron wohl nicht wiedergewählt worden).

Selbst im privatesten Umfeld, ja selbst hinein ins Schlafzimmer, müssen die Franzosen künftig damit rechnen, dass ihre Gespräche mitgehört werden, dass ihre Smartphone-Kamera mitläuft, obwohl sie gar nicht eingeschaltet wurde und das ist das faktische Ende des Privatlebens. Die Horrorvisionen eines George Orwell oder Aldous Huxley werden von der Macronie noch übertroffen und Frankreich, Wiege der Menschenrechte, Hort der Demokratie, Insel der Meinungsfreiheit verwandelt sich immer weiter in den Vorreiter eines „digitalen Totalitarismus“, dem sicherlich andere Länder folgen werden, besonders diejenigen Länder, die gerade in einen dumpfen Nationalismus und rechtsextreme Regierungen hineinrutschen.

Gewiss, das Gesetz besagt, dass diese Totalüberwachung nur dann angeordnet werden kann, wenn wegen Straftaten ermittelt wird, die mit Strafen von 10 Jahren Gefängnis und mehr bewehrt sind. Nur – wer glaubt diesem Staat, dass er sich an seine eigenen Regeln hält? Wer garantiert, dass die Behörden nicht ohne Kontrolle überwachen, wen sie überwachen wollen? Heute hat kaum noch jemand das Vertrauen in einen Staat, der immer wieder gegen die Interessen der Bevölkerung arbeitet, weswegen auch kaum jemand glaubt, dass diese neuen Überwachungs-Werkzeuge nur „korrekt“ eingesetzt werden.

Frankreich war einmal das Land, dem die anderen Länder nacheiferten, denn Frankreich brachte dem Rest der Welt lange Jahre über immer wieder Erleuchtungen. Doch unter der Macronie hat sich Frankreich verändert, ist zu einem digital-totalitären Land geworden, das sich nun anschickt, die Olympischen Spiele 2024 vorzubereiten. Wer da nicht an Berlin 1936 denkt, der hat nicht hingeschaut.

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