„Die anderen sind noch schlechter als ich…“
Das Niveau des Wahlkampfs für die anstehende Europawahl in Frankreich ist ein Spiegel der allgemeinen Verunsicherung des Lands. Und die Wahlargumente sind unterste Schublade.
(KL) – Frankreich ist im Wahlkampf. Zwar weiß niemand so genau, worum es bei diesem Wahlkampf geht, doch angesichts der entwaffnenden Ahnungslosigkeit der meisten KandidatInnen aus allen Parteien zum Thema „Europa“ beschränkt man sich überwiegend darauf, zum einen eine „Abstrafwahl“ für Präsident Macron zu organisieren und dabei gleichzeitig die Kommunalwahl 2020 vorzubereiten, die viele Franzosen mehr zu interessieren scheint als die Europawahl.
Die politische Auseinandersetzung zur Europawahl hat in Frankreich inzwischen Schulhofniveau erreicht. Keine politische Formation hat ein echtes Europa-Programm jenseits der üblichen Allgemeinplätze („Wir stellen den Bürger ins Zentrum unserer Aktion“, „wir müssen die Bürger mitnehmen“, „wir wollen mehr Europa“ oder „wir wollen ein solidarisches und soziales Europa“) und deswegen beschimpft man sich lieber gegenseitig. Das ist auch der Grund, warum sich die aktuellen Umfragen so lesen, als stammten sie direkt aus der Weimarer Republik. Jede Menge kleiner Parteien werden sich gegenseitig die Stimmen wegnehmen und profitieren werden davon vor allem die Rechtsextremen.
Momentan hat das Regierungsbündnis (LREM / MoDem, Agir) mit 22,5 % der Stimmen zumindest in den Umfragen noch knapp die Nase vorn. Direkt dahin liegt der rechtsextreme Front National (Rassemblement National) mit 21,5 %, gefolgt von den langsam wieder zum Leben erwachenden Konservativen (LR) mit 15,5 %. Die Grünen (EELV) kämen auf 9 %, die linksextreme „La France Insoumise“ (FI) auf 8 % und dann diejenigen, die bereits heute zu den Verlierern zählen. An der 5 %-Hürde könnten demnach scheitern: Parti Socialiste (PS, gemeinsame Liste mit „Place Publique“ und „Nouvelle Donne“), die bei 4 % liegt (und vor nicht einmal zwei Jahren den Präsidenten und die Mehrheit in beiden gesetzgebenden Kammern stellte!), „Génération.s“ (des ehemaligen PS-Kandidaten Benoît Hamon) mit 4 %, die stramm rechte „Debout La France“ (DLF) mit 4 %, die Zentrumspartei UDI mit 3,5 %, die kommunistische PCF mit 1,5 % und ein paar weitere Splittergruppen, die alle zwischen 0 und 1 % liegen.
Bemerkenswert ist die Implosion der PS. Hatte man vor weniger als zwei Jahren noch den gesamten Regierungsapparat in Paris im Griff, implodieren die Sozialisten geradezu. Als massiver Fehler hat sich die Berufung von Olivier Faure zum Parteichef herausgestellt, der auf den Spitzenplatz der Wahlliste der PS verzichtete, den nun Raffael Glucksmann einnimmt, der Sohn des bekannten Philosophen André Glucksmann, der aus der Zivilgesellschaft kommt, über keinerlei Erfahrungen in der Europapolitik verfügt und vor dem der PS-Chef gekuscht hat, in der vagen Hoffnung, dies könnte ein kleines Prozent bringen. Pustekuchen, die PS hat einmal mehr aufs falsche Pferd gesetzt, praktisch alle europäischen Kompetenzen von der Liste getilgt, diese ziemlich freihändig besetzt und nun muss die PS eine ganz neue Erfahrung machen – sie muss um die 5 %-Hürde zittern und läuft Gefahr, nicht im neuen Europäischen Parlament vertreten zu sein.
Die aktuellen Umfragen beinhalten ebenfalls die Hypothese, dass eine Liste der „Gelbwesten“ antreten könnte. Hätte eine solche Liste auf dem Höhepunkt dieser Bewegung noch rund 12 % einfahren können, würde sie heute nur noch 2 % bekommen. Das erinnert ein wenig an die “Piraten”, die ein Jahr vor der letzten Bundestagswahl ebenfalls bei 12 % gesehen wurden, danach aber implodierten und in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwanden.
Für viele dieser kleinen Formationen steht vieles auf dem Spiel. Denn es gibt in Frankreich bei der Europawahl nicht nur die 5 %-Hürde, um überhaupt Abgeordnete ins Parlament entsenden zu können, sondern auch die 3 %-Hürde, die man überspringen muss, um nicht auf den Wahlkampfkosten sitzen zu bleiben. Da kann die Frage des Überspringens der 3 % für einige dieser Parteien geradezu existenzbedrohend sein.
Dementsprechend gereizt verläuft der Wahlkampf. Und den führen im Grunde alle gleich. Da niemand irgendwelche besonderen Erfahrungen, Kompetenzen oder Visionen für Europa hat, beschränkt man sich darauf, sich gegenseitig schlecht zu machen. Zu diesem Zweck wurde die Gürtellinie besonders weit südlich festgemacht und die Auseinandersetzungen sind geradezu grotesk. „Wählt mich, die anderen sind noch übler…“, so tönt es einem aus allen Richtungen entgegen.
Angesichts der fast schon historischen Inkompetenz in europäischen Fragen sämtlicher Kandidaten kann man sich wenigstens über ein paar Dinge heute schon sicher sein – die Wahlbeteiligung wird sehr niedrig sein und Frankreich wird ins nächste europäische Parlament jede Menge Abgeordnete entsenden, die alle über den „unverbauten Blick“ verfügen, sprich: die keine Ahnung haben. Das lässt auf eine tolle neue Legislaturperiode hoffen…
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