„Die Grenze wurde in den Köpfen der Menschen neu gezogen…“

Die beiden Sprecher des Arbeitskreises „AK Schengen 2.0“, Peter Cleiß und Jacques Schmitt, im Gespräch zur aktuellen Situation an der Grenze.

Peter Cleiss und Jacques Schmitt bei einer der vielen Demonstrationen im letzten Sommer. Foto: Eurojournalist(e)

(KL) – An der deutsch-französischen Grenze wird scharf kontrolliert, das grenzüberschreitende Leben ist praktisch zum Erliegen gekommen. Das Infektions-Geschehen auf beiden Ufern des Rheins ist nicht das gleiche und momentan fällt es schwer, von den „deutsch-französischen Beziehungen“ zu sprechen. Doch muss man irgendwie mit der Situation umgehen und bereits jetzt Perspektiven entwickeln, wie es nach der Pandemie weitergehen soll. Deutsch-französisches Gespräch, in dem sich beide Gesprächspartner in ihrer Sprache ausdrücken. So ist das eben bei Eurojournalist(e)…

Seit April 2020 kämpfen Sie dafür, dass die Grenzen geöffnet bleiben. Wozu nützt dies zu einem Zeitpunkt, zu dem das deutsch-französische Leben auf Eis liegt?

Jacques Schmitt: Eine offene Grenze, das ist der Ausdruck selbst des Schengen-Abkommens, das in Europa die Grenzen abgeschafft und insbesondere bei uns am Oberrhein für einen freien und ungehinderten Personenverkehr geführt hat. Und das, was an der Grenze geschieht, findet ohne jede politische Abstimmung mit der Bevölkerung statt, die dieses Thema als erstes angeht.

Peter Cleiß: Leider wurde im März 2020 durch die einseitige Schließung der Grenze diese wieder in den Köpfen der Menschen eingepflanzt. Vor der Pandemie hatten wir am Oberrhein einen Status erreicht, in dem man sagen konnte, dass die Grenze nicht mehr existiert. Und nun existiert sie wieder…

Die Inzidenzzahlen zeigen einen hohen Unterschied zwischen der französischen Region Grand Est, mit rund 227 und der deutschen Seite, wo mehrere Landkreise bereits unter der Schwelle von 50 liegen. Doch stellt man fest, dass überall dort, wo es sehr viele Berufspendler und damit Mobilität zwischen den Rheinufern gibt, die Inzidenz auch auf der deutschen Seite sehr hoch ist, wie in der Ortenau oder dem Großraum Saarbrücken. Ist das kein ausreichender Grund, die Grenze temporär zu schließen, um die Ausbreitung des Virus geographisch einzugrenzen?

JS: Ce n’est pas la frontière, mais le mouvement des personnes qui transporte le virus. Pour ces personnes, en particulier les travailleurs et travailleuses transfrontaliers, cette mobilité est vitale. Mais ce qui fait défaut, c’est la clarté des mesures. Il faudra travailler ensemble, autrement, on ne pourra pas regagner la confiance des populations qui elles, doutent de tout actuellement.

PC: Nun, wir haben das gleiche Szenario auch innerhalb der einzelnen Bundesländer, teilweise sogar zwischen den Landkreisen. Jacques Schmitt hat Recht – es fehlt die Klarheit der Maßnahmen, es fehlt die Abstimmung. In den Köpfen der Menschen existiert die Grenze wieder. Die mangelnde Abstimmung hat bleibende Schäden verursacht, wie sie innerstaatliche Grenzen nicht verursachen.

Glauben Sie nicht, dass es besser wäre, erst dann wieder zu einer „normalen“ Grenzsituation zurückzukehren, wenn die Inzidenz auf beiden Rheinufern auf einem vergleichbaren, niedrigen Niveau angekommen ist?

JS: Pour l’instant, ces mesures ne font aucun sens. Nous avons besoin de mesures claires, compréhensibles et qui ne changent pas tous les trois jours. Il faut retrouver une plus grande cohérence et cesser de créer des situations anti-démocratiques et donc, dangereuses.

PC: Doch! Momentan werden wir allerdings von der mangelnden Kooperation eingeholt. Wir stellen fest, dass selbst grenzüberschreitende Einrichtungen wie der Eurodistrikt Straßburg – Ortenau die Situation überwiegend durch eine nationale Brille betrachten und entsprechend handeln. Doch sollte ein Eurodistrikt keine Struktur sein, in der deutsche und französische Institutionen ihre Standpunkte einbringen, sondern sollte er vielmehr die Bürgerinnen und Bürger repräsentieren. Wenn diese Krise vorbei ist, muss man ernsthaft über eine Reform dieser grenzüberschreitenden Eurodistrikte nachdenken. Idealerweise sollten die Menschen ihre Vertreter im Eurodistrikt selbst wählen und der Eurodistrikt-Rat sollte dann seinen Vorstand und Präsidenten wählen. Aber das ist ein Thema, das erst später auf der Tagesordnung stehen wird.

Vielen Dank für Ihre Stellungnahmen!

In der Tat – der „AK Schengen 2.0“ wird eine wichtige Rolle spielen, wenn diese Pandemie eines Tages im Griff sein wird. Denn das wird der entscheidende Moment für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Integration werden. Organisationen wie der „AK Schengen 2.0“ müssen die Garanten dafür sein, dass wir danach wieder in den „Kooperations-Modus“ umschalten und nicht etwa in den Neo-Nationalismus abgleiten, der sich gerade wieder überall breit macht.

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