Ein höchst seltsamer Europa-Wahlkampf
In Frankreich hat der Wahlkampf für die Europawahl begonnen. Mit TV-Debatten und Wahlkampf-Meetings. Dabei ist die Wahl in Frankreich längst entschieden.
(KL) – Der 9. Juni 2024 wird in Frankreich einen politischen Erdrutsch nach rechtsaußen bringen. In den Umfragen aller seriösen Institute liegt der Kandidat des rechtsextremen „Rassemblement National“ (ex-Front National) Jordan Bardella mit über 30 % haushoch in Führung. Deutlich abgeschlagen ist das, was einmal die „präsidiale Mehrheit“ war, die Koalition aus der Macron-Partei „Renaissance“, dem „MoDem“ und „Horizons“, der Partei des früheren Premierministers Edouard Philippe. Als „präsidiale Mehrheit“ kann man die 18 % dieser Koalition in den Umfragen wirklich nicht mehr bezeichnen – die Macronie ist wohl am Ende.
Und wo steht die Opposition vor der Europawahl? Die Gruppierung „Place Publique“, eine Art Offspring dessen, was einmal die Sozialistische Partei PS war, kommt mit Raphaël Glucksmann auf immerhin 11,5 %, doch dann splittert sich die Opposition völlig auf. Die Grünen (EELV) würden 8,5 % der Stimmen erhalten, die einstmals starken Konservativen der Les Républicains (LR) und die linksextreme La France Insoumise (LFI) kämen jeweils auf 7 %, eine weitere rechtsextreme Partei, „Reconquête!“ der Le Pen-Nichte Marion Maréchal, liegt bei 5 %.
Die Umfragewerte aus Frankreich zeigen das Chaos in der politischen Landschaft. Einigkeit besteht links wie rechts nur darin, dass die Macronie ausgedient hat – bei einer Zustimmung von 18 % für die Partei, die Präsidenten und Premierminister stellt, stellt sich wieder einmal die leidige Frage der Legitimität. Doch diese Legitimität, zunächst was Europapolitik angeht, wird am 9. Juni ausgerechnet in die Hände derjenigen übergehen, die am europafeindlichsten eingestellt sind, der Rechtsextremen.
Während sich in Deutschland ein Teil der Bevölkerung gegen die braune Welle stemmt, die auch über Deutschland zu schwappen droht, ergeben sich die Franzosen der kommenden Machtübernahme durch die Rechtsextremen, als handele es sich um ein Naturphänomen, das nicht aufgehalten werden kann. Eine politische Gegenbewegung, gar eine „Brandmauer“ gegen die Rechtsextremen gibt es nicht, Teile des politischen Wettbewerbs befinden sich ebenfalls im rechtsextremen Lager und die Linke ist so zerstritten oder auch teilweise implodiert wie die PS, dass eine gemeinsame Linie nicht denkbar ist. Bemerkenswert ist auch, dass der Absturz von Emmanuel Macron in der Gunst der Franzosen parallel zum zeitgleichen Absturz von Jean-Luc Mélenchon von der LFI stattfindet. Mélenchon hatte bei der letzten Präsidentschaftswahl noch über 20 % geholt, doch jetzt ist seine Partei eben auch auf nur noch 7 % geschrumpft. Hier gehen demnächst gleich mehrere politische Karrieren zu Ende.
In Frankreich fehlt es, ebenso wie in anderen Ländern, an politischen Alternativen. Die gesamte politische Kaste des Landes hat das Vertrauen der Bevölkerung verloren und viele der wenigen, die am 9. Juni bei der Europawahl wählen gehen, werden dies nur tun, um Emmanuel Macron und seiner Regierung die rote Karte zu zeigen. Dass sie dabei allerdings die größten Europagegner in die europäischen Institutionen schicken werden, ist ein ganz schlechtes Zeichen für das französische Wahljahr 2027, wenn Präsident und Parlament neu gewählt werden. Das ist der Zeitpunkt, zu dem Frankreich endgültig in die Hände der Rechtsextremen zu fallen droht. Keine guten Aussichten, nicht für Frankreich und nicht für Europa.
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