Ein Präsident ohne Volk

Der gestrige, lange erwartete TV-Auftritt von Emmanuel Macron war eine lauwarme Kommunikations-Veranstaltung, die wohl niemanden von ihm und seiner Politik überzeugte.

Selten hat man einen so schwachen TV-Auftritt Emmanuel Macrons gesehen... Foto: ScS EJ

(KL) – Emmanuel Macron hat eindeutig zu lange gewartet, bis er geruhte, das Wort an seine Untertanen zu richten. Abzuwarten, dass das Land auf den Hinterfüssen steht, dabei aber in den letzten Monaten jeden Dialog mit den Gewerkschaften und den Bürgerinnen und Bürgern zu verweigern, war ein unglaublicher politischer Fehler, den der Präsident auch im TV-Interview nicht ausbügeln konnte. Denn selbst jetzt, wo er sich nicht länger hinter seiner mittlerweile ebenso unbeliebten Premierministerin Elisabeth Borne verstecken konnte, ist seine Kommunikations-Strategie ebenso durchschaubar wie schwach.

Im Narrativ dieses Präsidenten ist die am Parlament vorbei mit dem Paragraphen 49.3 durchgeboxte Rentenreform „das Ergebnis parlamentarischer Kompromisse und eines demokratischen Prozesses“, wobei Macron geflissentlich vergaß, dass er das Parlament ausgehebelt hatte, da er Angst vor einer Abstimmungsniederlage hatte. Fakt ist, dass die Assemblée Nationale aufgrund des §49.3 gar nicht über das entsprechende Gesetz abstimmen durfte und dass der Senat, die zweite gesetzgebende Kammer, nur eine „blockierte Abstimmung“ nach §44.3 durchführen durfte. Nun vor den TV-Kameras zu behaupten, dass diese Rentenreform das Ergebnis eines demokratischen Prozesses sei, das zeigt, dass die „Macronie“ ein echtes Problem mit der Demokratie hat.

Angesprochen auf die Proteste gegen diese Reform und gegen seine Regierung und ihn selbst, startete Macron den schwachen Versuch, die Millionen Franzosen, die friedlich seit dem 19. Januar auf die Straße gehen, in die Ecke von „Black Blocks“ und Kriminellen zu stellen. Denn, so konnte man Macron verstehen, natürlich würde er den „anständigen“ Demonstranten zuhören (was er seit Monaten nicht tut), doch alle anderen müssen mit massiver Repression rechnen. Dass der Mann damit nur weiter Öl ins Feuer gießt, scheint ihn nicht zu interessieren. Ebenso wenig wie die Millionen Demonstranten, die in den Augen dieses Präsidenten ohnehin nur diejenigen sind, „die nichts sind“, wie er es in der Vergangenheit so präzise ausdrückte.

Allerdings war es auch das erste Mal, dass man Macron im Jammer- und Selbstmitleid-Modus erlebte. „Ja, meinen Sie, es macht mir Spaß, diese Reform durchzuziehen?“, fragte der Präsident, der hinzufügte, dass er „die Unpopularität eben auf seine Schultern nähme“. Das Mitleid der Franzosen dürfte sich in Grenzen halten, denn Macron hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, diese Rentenreform im Dialog mit den Sozialpartnern und demokratisch zu versuchen, statt seinen Landsleuten mit einer derartigen Brutalität seinen Willen aufzudrücken.

Dass Macron versprach, dass „Frankreich 2030 wieder eine große Nation“ werden würde, dürfte auch keinen Franzosen beruhigen. Denn was seine Landsleute heute sehen, ist dass die französische Demokratie von diesem Präsidenten und seiner Regierung ausgehebelt wird, und die Menschen im Land (zumindest diejenigen, die weniger als einen siebenstelligen Betrag auf dem Konto haben) haben die Nase von der Arroganz und politischen Brutalität dieses Mannes voll, weswegen solche schwammigen Versprechungen niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken.

Der seit Tagen angekündigte, etwas mehr als halbstündige TV-Auftritt Macrons sollte einen Wendepunkt darstellen, doch das hat nicht geklappt. Der Mann hat sich in seinem Palast in einer wirklichkeitsfremden Haltung verrannt, umgeben von Ohrenbläsern, die sich offensichtlich nicht trauen, dem Präsidenten zu sagen, wie es im Land wirklich aussieht. Auf die Dinge, welche sich die Franzosen gestern erhofft hatten, ein Referendum über diese Reform oder auch den Austausch von Premierministerin Elisabeth Borne, müssen sie noch lange warten.

Das Timing dieses TV-Auftritts war nicht zufällig gewählt, bevor heute die wohl größten Demonstrationen seit Beginn der Proteste anstehen. Doch Macron hatte es gar nicht darauf abgesehen, die Wogen zu glätten, da es ihm deutlich mehr Befriedigung bringt, seinen Landsleuten zu drohen und diejenigen, die seine „göttlichen Eingebungen“ nicht teilen, in den Randbereich zur Kriminalität zu drängen.

Heute wird es nicht mehr zu übersehen sein, dass dieser Präsident durch die Art, in der er seine Politik führt, kein Volk mehr hinter sich hat. Wie eine Regierung und ein Präsident, die von zwei Dritteln der Franzosen abgelehnt werden, bis 2027 das Land managen wollen, ist eine offene Frage. Die „Macronie“, die sich mit Macrons TV-Auftritt ein wenig Dynamik verschaffen wollte, ist ausgepowert, von sich selbst zerfressen und dieses TV-Interview konnte keine Richtungsänderung einläuten. Vier Jahre vor Ablauf des Mandats ist es keine gute Nachricht, dass der Präsident und seine Regierung überhaupt keinen Bezug mehr zu ihrem Land und ihren Mitbürgern haben.

Statt die Situation zu beruhigen, hat der Präsident den Graben zwischen ihm und seiner wenig überzeugenden Regierung und den Franzosen weiter vertieft. Mit Worthülsen und leeren Slogans, mit Unwahrheiten wie dem „demokratischen Aspekt“ dieser Reform und mit Gejammer über die Penibilität seines Amts, hat Macron gestern niemanden überzeugt. Die Antwort gibt es heute auf Frankreichs Straßen. Gestern hätte Macron dazu beitragen können, dass sich die Situation ein wenig entschärft. Doch er zog es vor, genau das Gegenteil zu tun. Armes Frankreich – das nun einen Präsidenten ohne Volk hat…

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