Ein zusammengewürfeltes Protestpotential
Eigentlich sollte es sich bei den aktuellen Demonstrationen um den Impfzwang und den „Sanitär-Pass“ handeln. Aber auf den Demonstrationen trifft man allerhand verwirrte Menschen.
(KL) – Es braut sich gerade etwas zusammen in Frankreich und das, was sich da zusammenbraut, könnte hoch explosiv werden. Die neue Protestbewegung hat eine andere Dimension als 2018/19 die Gelbwesten, obwohl auch diese in dieser neuen Bewegung mitmischen. Inzwischen demonstrieren gemeinsam: Impfzweifler, Impfgegner, Gelbwesten, Linksextreme, Rechtsextreme, allgemein Unzufriedene (von denen es gerade mächtig viele gibt), Macron-Gegner und mitunter auch etwas verschrobene Systemkritiker. Sie alle finden sich unter zwei Forderungen wieder, die auf den ersten Blick nicht viel mit der aktuellen Pandemie zu tun haben: „Freiheit“ und „Macron – Démission“. Es ist vermutlich nur eine Frage der Zeit, wann diese bislang friedlichen Proteste in Gewalt umschlagen.
„Das absolut Böse ist die City of London. Soldaten aller Länder, vereinigt euch, um sie zu vernichten.“ Was diese am Samstag auf der wöchentlichen Demonstration in Straßburg erhobene Forderung mit Impfungen, Sanitär-Pass oder anderem zu tun hat, ist rätselhaft. Dass man sich in der aktuellen Lage kaum mit so einer wirren Aussage auseinandersetzen möchte, ist auch klar. Und dass mittlerweile jeder seltsame Zeitgenosse, der irgendetwas zu kritisieren hat, auf den Zug der Demonstrationen aufspringt, ist zwar verständlich, aber gleichzeitig auch schädlich. Denn diese Wirrköpfe diskreditieren natürlich die anderen Demonstranten, von denen viele sehr ernst zu nehmende Fragen stellen und Anliegen haben. Doch eine Auseinandersetzung findet praktisch nicht statt.
Die Redner und Rednerinnen auf dem Straßburger Kléber-Platz heizen die Demonstranten an. Zu Beginn der Demonstration sind es ein paar Hundert, im Laufe des Nachmittags wird die Demonstration auf mehrere Tausend anwachsen. Die Beiträge sind eine Aneinanderreihung von Slogans, die von den Demonstranten unisono mit Beifall oder Buh-Rufen bedacht werden. Und immer wieder erhebt sich ein gemeinsamer Ruf: „Liberté!“ und auch „Macron – Démission!“. Dies scheint der gemeinsame Nenner aller versammelten Demonstranten zu sein.
Fairerweise muss man festhalten, dass die „Durchgeknallten“ eine absolute Minderheit bei diesen Demonstrationen sind. Erfreulich – im Gegensatz zu letzter Woche sieht man keine Judensterne und Nazi-Symbole mehr. Und dennoch hat man das Gefühl, dass es bei diesen Demonstrationen eher darum geht, sich unter Gleichgesinnten zu bestätigen, dass man auf dem richtigen Dampfer ist, als Andersdenkende von der eigenen Position zu überzeugen.
Ebenso fairerweise muss man festhalten, dass viele Passanten den Demonstranten Unrecht tun, wenn sie diese als „Volksverräter“, „Idioten“ und „Arschlöcher“ betiteln. Dass es zu solchen Reaktionen kommt, ist höchst unerfreulich, hat aber auch etwas mit den „Durchgeknallten“ zu tun, die diese Demonstrationen missbrauchen, um ihre verschrobenen Ideen in die Welt zu tragen.
Und noch einmal fairerweise muss man festhalten, dass diese neue Protestbewegung die Antwort auf eine autoritäre Regierung ist, die ihr Versagen seit anderthalb Jahren dadurch versucht zu bemänteln, dass sie jetzt die Bevölkerung gängelt, erpresst und einer Totalüberwachung aussetzt. Die Regierungsmannschaft um Präsident Macron ersetzt Pädagogik durch Autorität, Freiheit durch einen totalitären Ansatz und Vernunft durch Angst.
Andere Länder führen gerade exakt die gleichen Maßnahmen ein wie Frankreich. Der große Unterschied ist, dass in anderen Ländern kein Sonnenkönig mit seinen Hofschranzen der Bevölkerung geruht mitzuteilen, was er als nächstes zu tun gedenkt, sondern dass anderswo ein echter Austausch zwischen den Regierungen und der Bevölkerung stattfindet. In wenig anderen Ländern hat die Bevölkerung so wenig Vertrauen in die Regierung wie in Frankreich, was nach anderthalb Jahren der Lügen und Falschinformationen eigentlich auch kein Wunder ist.
Nächste Woche nun wir der „Sanitär-Pass“ Pflicht und die neuen Vorschriften und Regeln sind, wie immer seit anderthalb Jahren, inkonsequent und „gestrickt“. So gibt es keine Erklärung dafür, warum man für eine Fahrt im TGV mit Platz und reservierten Sitzplätzen einen „Sanitär-Pass“ vorweisen muss, nicht aber für eine Fahrt in einem hoffnungslos überfüllten Vorortzug. Und von diesen Beispielen gibt es etliche.
Je länger dieses Drama dauern wird und je konkreter die neuen Restriktionen werden, desto gespaltener wird die französische Gesellschaft sein. Und je tiefer dieser Riss durch die Gesellschaft wird, desto gewalttätiger werden die Proteste und die Repression werden. Es braut sich etwas zusammen in Frankreich…
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