Es geschieht vor unseren Augen

Wie in einem Stück von William Shakespeare wird seit Montag der Prozess um die Auslieferung von Julian Assange im Old Bailey ausgetragen, dem historischen Gericht für schwerste Kriminalfälle.

Seit fast einem Jahrzehnt konnte man nur per Video mit Julian Assange kommunizieren. Foto: bjoern from Hamburg, Germany / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Doch, es geschieht. Im Old Bailey in London, dem uralten Gericht, in dem historische britische Kriminalfälle verhandelt, historische Urteile und Fehlurteile gefällt und historische Verbrecher verurteilt wurden. Dort wird gerade verhandelt, was die Briten mit dem weltweit mit Preisen ausgezeichneten Whistleblower Julian Assange anstellen wollen. Neben Julian Assange ist auch die Pressefreiheit angeklagt, ja, eigentlich das ganze Funktionieren eines demokratischen Europas. Wir schauen gerade wie in einem alten Theater in Stratford-upon-Avon zu, wie der Mann, der die Welt über US-Kriegsverbrechen aufgeklärt hat, eben diesen USA in den Rachen geworfen wird. Wo er bis ans Ende seiner Tage in einem amerikanischen Gefängnis sitzen und sterben wird.

Wissenschaftler, Ärzte, Juristen, Prominente haben an die britische Regierung appelliert, diesen unwürdigen Schauprozess abzusagen, Julian Assange ausreisen zu lassen und für Gerechtigkeit zu sorgen. Doch leider sind die Briten nur noch Handlanger der USA, die nach Boris Johnsons „hard Brexit“ die letzte Hoffnung für das (noch) Vereinte Königreich sind, wirtschaftlich nicht komplett unterzugehen. Boris Johnson hat ihn gewollt, die Briten haben ihn dazu ermächtigt – „hard Brexit“.

Das Ergebnis dieses „Prozesses“ ist absehbar. Die USA wollen Rache, die USA wollen ein Exempel statuieren. Und wir schauen zu. Die Begründung, warum die Bundesregierung nicht eingreift, ist der Versuch der Quadratur des Kreises. Man wisse ja, dass Großbritannien ein vorbildlicher Rechtsstaat sei und genau deswegen würde man nicht in London vorstellig werden, hieß es in Berlin. Also sich darauf verlassen, dass Boris Johnson nicht Julian Assange gegen ein Handelsabkommen tauschen wird. Sprich: nichts tun. Zuschauen. Diejenigen, die jetzt handeln könnten, dies aber nicht tun, machen sich schuldig an dem, was Julian Assange nun passieren wird.

Die Proteste gegen die mögliche Auslieferung Assanges an die USA umspannen den Globus. Kein vernünftig denkender Mensch kann Assange dafür schuldig sprechen, dass dieser seinen Job als Journalist gemacht hat. Der die Welt darüber informiert hat, was für Kriegsverbrechen die USA begangen haben, speziell im Irak, aber natürlich auch in Afghanistan. Die schwedischen Versuche, ihm eine doppelte Vergewaltigung anzuhängen, schlugen fehl. Nur, bis es soweit war, vergingen acht lange Jahre, die Julian Assange politisches Asyl in der Botschaft Ecuadors „genoss“, eingeschlossen in einem winzigen Studio mit Kochzeile, von der britischen Polizei abgeschottet und weitestgehend isoliert. Bis Ecuador das Asyl kündigte und die britische Polizei einen schlimm gealterten Julian Assange aus der Botschaft zerrte.

Aber eigentlich weiß das ja jeder. Alle finden es schlimm. Jeder kennt die Zahl – 175 Jahre Gefängnis erwarten Julian Assange in den USA. Warum eigentlich nicht 10.000 Jahre? Furchtbar. Und unsere Regierungen schauen zu. In unserem Namen.

Noch gäbe es Möglichkeiten, Druck auf die Briten auszuüben, ihnen Sanktionen anzudrohen und diese unverzüglich umsetzen – es geht um nicht weniger als einen der Pfeiler einer Demokratie. Es nützt wenig, in schönen Sonntagsreden auf das große Engagement für Whistleblower zu schwadronieren, wenn man dann, wenn es darauf ankommt, schweigt.

Eine Verurteilung und Abschiebung von Julian Assange würde eine neue Ära einläuten. Eine Ära, die in vielen verstörenden Romanen schon ersonnen wurde und die alles andere als gut ist. Und bis zum letzten Urteil in letzter Instanz heißt es weiter hoffen, dass Europa das verteidigt, was Europa am teuersten sein sollte – die Demokratie.

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