Europafest. Na ja.

Jedes Jahr wird es etwas schwieriger, das traditionelle Europafest in Straßburg zu feiern. Denn noch nie zuvor war die Zukunft Europas gefährdeter als heute.

Europa muss sich neu erfinden, wenn es dauerhaft eine Rolle im internationalen Konzert spielen will. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Natürlich ist das Europafest toll. Natürlich freuen sich alle, die Vereine, die Parteien, die Verwaltungen, die Bürgerinnen und Bürger, einfach alle. Nur – worüber freuen wir uns eigentlich? Denn das einzige, was heute in Europa positiv ist, hat der grüne Landtagsabgeordnete Joscha Frey so zusammengefasst: „Ich lebe seit 59 Jahren in Europa, ohne dass ich einen Krieg hätte miterleben müssen.“ Das ist unendlich wertvoll, doch ansonsten versagt das institutionelle Europa gerade auf ganzer Linie. Gefeiert wird trotzdem.

Die Beweggründe für die Teilnehmer der Europa-Feierlichkeiten sind ganz unterschiedlich. Junge Förderalisten nutzen die Gelegenheit, die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, was jeder vernunftbegabte Mensch seit langer Zeit erkannt hat – das intergouvernementale Europa muss endlich durch ein demokratisch legitimiertes, föderalistisches System abgelöst werden. Die Vereine und Verbände freuen sich, dass sie ihre Aktivitäten einer breiten Öffentlichkeit unterbreiten können. Die Besucherinnen und Besucher freuen sich über die vielen Gadgets, die man bei dieser Gelegenheit einsammeln kann. Aber macht das alles wirklich Europa aus?

Die europäischen Krisen sind so zahlreich, dass man sie kaum noch aufzählen kann. Brexit, Sozialabbau, Aufstieg neonationalistischer Parteien, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, fehlende Positionen in der Weltpolitik, die faktische Abspaltung der Visegrad-Staaten, Arbeitslosigkeit, ein marodes Finanzsystem und eine Politik, die kaum noch die Welt versteht, die sie eigentlich lenken soll. Doch von diesen Themen wird man bei den Europa-Feierlichkeiten nur wenig hören, jetzt wird erst einmal gefeiert.

Dass man ein positives Narrativ für Europa sucht, speziell ein Jahr vor der nächsten Europawahl, ist verständlich. Doch sind die Probleme und vor allem die Perspektivlosigkeit der europäischen Politik derart groß, dass auch das schönste Fest nicht mehr über sie hinweg täuschen kann.

Europa soll ruhig feiern, denn der Frieden, den wir auf unserem Kontinent erleben, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern das Ergebnis der Gründung der europäischen Institutionen. Doch darauf kann man sich in einer im Wandel begriffenen Welt nicht mehr ausruhen. Der Countdown läuft. Sollten es die politisch Verantwortlichen nicht schaffen, bis zur nächsten Europawahl ein echtes, glaubwürdiges und positives Konzept für Europa anzubieten, dann schlägt auch auf europäischer Ebene die Stunde der Extremisten. Und ein ganz neues, deutlich weniger schönes Kapitel könnte für Europa anbrechen.

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