Fluchtkorridore in die Höhle des Löwen

Russlands „Verhandlungstaktik“ ist eine reine Farce. Inakzeptable Forderungen und eine zynische Verhöhnung der zivilen Opfer deuten darauf hin, dass Putin seinen Krieg bis zum bitteren Ende durchziehen wird.

Ein "humanitärer Korridor" muss in die Freiheit führen, und nicht in das Land der Aggressoren. Foto: Leonhard Lenz / Wikimedia Commons / CC0 1.0

(KL) – Das Angebot der Einrichtung „humanitärer Korridore“ der russischen Regierung ist der Gipfel des Zynismus. Denn diese „Korridore“ sollen nach der Vorstellung Russlands Ukrainern die Möglichkeit zur Flucht nach – Russland geben. Doch welcher Ukrainer will schon in das Land flüchten, das gerade seine Heimat zerstört und seine Landsleute tötet? Dazu gibt es nun einen Bericht des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK), nach dem ein „Fluchtkorridor“ aus der belagerten Stadt Mariupol von den russischen Angreifern vermint worden war – und den Berichten des IKRK kann man trauen. Der Zynismus der russischen Regierung ist ungeheuerlich und es ist unklar, wohin Putin eigentlich steuert. Ob er es wohl selber weiß?

Unter diesem Krieg leiden, wie immer in Kriegen, die Zivilbevölkerungen und das nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Russland, wo die Wirtschaft gerade zusammenbricht. Nach Schätzungen von Experten kostet dieser Angriffskrieg Russland täglich rund eine Milliarde Dollar und würde der Westen nicht weiter Energieträger aus Russland importieren, würde Putin bereits jetzt finanziell die Puste ausgehen, zumal seine Regierung nicht mehr auf im Ausland lagernde Reserven zugreifen kann.

Doch was für Konsequenzen wird der wirtschaftliche Zusammenbruch Russlands haben? Putin wird nicht kleinlaut den Schwanz einziehen und „echte“ Gespräche anbieten, das Psychogramm dieses Mannes lässt so etwas nicht zu. Stattdessen steigt die Gefahr, dass Putin irgendwann eine seiner nuklearen Optionen zieht, je stärker er in die Enge getrieben wird. Dass sich der Kreml-Chef nicht von humanitären Überlegungen leiten lässt, das erkennt man an der Art seiner Kriegsführung in der Ukraine. Und so wird das Sterben in der Ukraine nicht nur weitergehen, sondern sich noch deutlich intensivieren.

Gewiss, Putin hatte einen „Blitzkrieg“ geplant und dafür über Wochen und Monate seine Figuren in Stellung gebracht. Die von Russland mit initiierte Flüchtlingskrise an der Grenze zwischen Polen und Belarus war ein Vorwand, um in Belarus diejenigen Truppen in Stellung zu bringen, die von dort aus Tschernobyl und Kiew angreifen; die Manöver vor der Krim und entlang der Grenze zum ukrainischen Donbass dienten dazu, seine Truppen in Angriffsstellung zu bringen. Doch die Tatsache, dass sein Krieg schleppend verläuft, dass er schlecht vorbereitet war und dass Putin von völlig falschen Annahmen über den Widerstand der Ukrainer und die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft ausging, bedeutet noch lange nicht, dass die Ukraine eine Chance hat, diesen Krieg gegen Russland zu gewinnen. Der Krieg wird nur länger dauern als gedacht und er wird sich in den Städten in einen blutigen Häuserkampf verwandeln, der immer mehr zivile Opfer kosten wird.

Langsam werden auch die Optionen knapp, aus dieser Situation herauszukommen, ohne dass es zu noch größeren Katastrophen kommt. Und niemand, auch die westlichen Regierungen nicht, weiß, wie man das Töten und diesen Krieg beenden könnte.

China bietet seine Vermittlung an, Israel ebenfalls, nachdem die selbsternannten Weltenretter aus Westeuropa von Putin nur noch am Nasenring durch die Manege geführt werden, ohne allerdings dabei darauf zu verzichten, sich weiterhin als große Helden selbst zu feiern.

Bereits jetzt sollte man, unabhängig vom Ausgang dieses Kriegs, einen „Marshall-Plan“ aufsetzen, mit dem die Wirtschaft und Versorgung der betroffenen Regionen in der Ukraine, aber auch in Russland, wieder gestartet werden können. Irgendwann wird man Putin einen solchen Plan präsentieren müssen, mit dem er Kompromissen zustimmen kann, bei denen er sein Gesicht gegenüber seinen Landsleuten nicht verliert. Zwar haben sich bereits weite Teil der russischen Bevölkerung von Putin abgewandt, aber die Mehrheit der Russen ist immer noch so von der Propaganda beeinflusst, dass sie den Krieg und den Kriegsherren weiter unterstützt.

In der Zwischenzeit müssen „echte“ humanitäre Korridore eingerichtet werden, über die eine unter Schock stehende Zivilbevölkerung evakuiert werden kann, natürlich nicht in Richtung Russland, sondern in Richtung Westen oder nach Süden, wo die Länder ebenfalls die ukrainischen Flüchtlinge aufnehmen. „Humanitäre Korridore“ nach Russland sind der Gipfel des Zynismus und stellen noch nicht einmal eine Gesprächsgrundlage dar.

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