Ein Sieg für die Ukraine. Aber auch für Europa?

Dass Wolodomyr Zelenskyi die EU mehr oder weniger zur Aufnahme von Beitritts-Verhandlungen genötigt hat, ist eine gute Sache für die Ukraine. Aber nicht für die Europäische Union.

Der ukrainische Präsident macht mit der EU, was er will. Und die EU lässt es mit sich machen. Foto: President.gov.ua / Wikimedia Commons / CC-BY 4.0int

(KL) – „Ein Sieg für die Ukraine. Ein Sieg für ganz Europa“, twitterte der ukrainische Präsident, nachdem er die EU praktisch dazu gezwungen hatte, die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen. Für die Moral der Ukraine ist es sicherlich ein Sieg, aber nicht unbedingt für Europa, das sich sowohl von Putin wie von Zelenskyi am Nasenring durch die Manege führen lässt.

Aber gibt es tatsächlich noch Menschen, die an das Gerede glauben, dass in der Ukraine „europäische Werte“ verteidigt würden? In der Ukraine kämpft die Ukraine für die Ukraine und um annektierte Regionen, die faktisch seit 2014 von Russland besetzt sind und in denen eine Art Austausch der Bevölkerung stattgefunden hat. Das russische Vorgehen läuft dem Völkerrecht zuwider und die Ukraine hat natürlich das Recht, sich gegen eine solchen Überfall zu wehren. Dass der Westen der Ukraine hilft, insbesondere im humanitären Bereich, ist richtig und wichtig. Doch sind das alles noch keine Gründe, dem Druck des ukrainischen Präsidenten nachzugeben und mit Verhandlungen zum Beitritt zu einer EU zu beginnen, die selbst im Sumpf von Korruption und Handlungsunfähigkeit versinkt.

Was für Vorteile bringt ein EU-Beitritt der Ukraine? Ist es für die EU wichtig, ein neues Mitglied zu bekommen, welches das einzige Land in der EU wäre, dessen Präsident in der Steuerhinterzieher-Liste „Panama Papers“ steht? Braucht die EU ein Mitglied, das heute noch üble Nazi-Kollaborateure wie Stepan Bandera als Nationalhelden verehrt? Will man den Champion der Korruption als Mitglied haben, damit die Korruption in den Institutionen und anderen Ländern weniger schlimm wirkt? Und wie wäre es, nach den Erfahrungen der letzten Erweiterungen, wenn man die Europäer und Europäerinnen über einen Beitritt abstimmen ließe?

Ein Meisterwerk ebenfalls, wie man sich beuim Brüsseler Gipfel Viktor Orban eingekauft hat. Gegen die Freigabe von Milliarden-Zahlungen an den Putin-Freund Orban erreichten Von der Leyen, Macron und Scholz, dass der ungarische Regierungschef offiziell bei der Abstimmung „nicht anwesend“ war und folglich kein Veto gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine einlegte. Und angesichts solcher „Deals“ wundert man sich, dass sich die Menschen immer mehr von diesem Europa abwenden?

Offenbar reicht es nicht, dass sich Europa im Ukraine-Krieg ruiniert, ohnehin wackelige soziale Gleichgewichte sprengt, eine galoppierende Verarmung in Kauf nimmt und die Taschen der Aktionäre der Rüstungsindustrie füllt. Jetzt diktiert Zelenskyi die Mitgliedschaft in der EU und wird sie wohl auch bekommen, denn Zelenskyi bekommt generell alles, was er fordert. Genau wie Putin, dessen Angriffskrieg der Westen weiterhin finanziert. Befragt werden die Europäer und Europäerinnen hierzu natürlich nicht, denn das Risiko, dass die Menschen den Mächtigen ihre Kriege um die Ohren schlagen, will natürlich niemand eingehen.

In der Ukraine werden höchstens dann „europäische Werte“ verteidigt, wenn man akzeptiert, dass die Korruption inzwischen auch zu den „europäischen Werten“ gehört, was durchaus eine zulässige Sichtweise wäre. Aber muss man deswegen dem ukrainischen Präsidenten gleich die Schlüssel des „Hauses Europa“ in die Hand drücken? Dass der Westen und die EU überhaupt kein Interesse haben, diesen Krieg zu beenden, erkennt man daran, dass wir trotz 12 Sanktionspaketen weiter ungebremst Geschäfte mit Russland machen und diesen Krieg auf beiden Seiten finanzieren. Das sichert Arbeitsplätze bei uns, ebenso wie der irgendwann stattfindende Wiederaufbau. Das kann allerdings noch dauern, denn solange man noch in den Haushalten kürzen kann, um die „Kriegswirtschaft“ zu finanzieren, wird dieser Krieg natürlich nicht enden, denn er ist ein zu gutes Geschäftsmodell für alle Seiten. Dass dabei beträchtliche Teile der Jugend der Ukraine und Russlands sterben müssen, das sind Kollateralschäden, die Kriegsherren noch nie davon abgehalten haben, ihre Kriege zu führen.

Die Quittung für all das wird es wohl am 9. Juni geben, wenn die Europäer ein neues Europäisches Parlament wählen, in dem bei extrem schwacher Wahlbeteiligung die Ultranationalisten und Europagegner die Mehrheit haben werden. Bis dahin werden die Ursula Von der Leyen, Charles Michel und wie sie alle hei゚en noch viel Geld verbrennen, viel Schaden anrichten und danach wird niemand verantwortlich sein. Doch sollte sich niemand wundern, dass angesichts dieser Vorgänge die EU weiter auseinanderbrechen wird. Man kann nur hoffen, dass danach ein „neues Europa“ gegründet wird, mit einem funktionierenden Regelwerk und Mechanismen, mit denen die institutionelle Korruption gestoppt werden kann. Denn Europa ist eine zu gute Idee, um sie diesen Politikern zu überlassen, die es sogar geschafft haben, das einstmals längste Friedensprojekt dieses Kontinents zu pervertieren. Wenn dieser korrupte Sumpf eines Tages trockengelegt sein wird, kann das neue Europa wie der Phoenix aus der Asche auferstehen. Das zumindest muss man hoffen.

1 Kommentar zu Ein Sieg für die Ukraine. Aber auch für Europa?

  1. Ernest Winstein // 11. Januar 2024 um 22:59 // Antworten

    Was nütz es Zelenski zu tadeln ?
    Ich lese : « Doch sind das alles noch keine Gründe, dem Druck des ukrainischen Präsidenten nachzugeben und mit Verhandlungen zum Beitritt zu einer EU zu beginnen, die selbst im Sumpf von Korruption und Handlungsunfähigkeit versinkt. » (Eurojournalist http://eurojournalist.eu/ein-sieg-fuer-die-ukraine-aber-auch-fuer-europa/). Was nütz es Zelenski zu tadeln ? Statt Europa aufzufordern eine vereinigende Verfassung zu erarbeiten, die einen verbindenden Bund dem gemeinsamen Europa eine politische Macht erteilt, die der Vereinigung mehr Gewicht gibt, ihr Rückenstärke gibt, sowohl in Sache Verteidigung, wie auch auf dem Gebiet der Wirtschaft und der Diplomatie.
    Der erste der « europäischen Werte » ist doch die Freiheit!?
    Was heisst das, dass ein „neues Europa“ gegründet wird, mit einem funktionierenden Regelwerk und Mechanismen, mit denen die institutionelle Korruption gestoppt werden kann » ? Man braucht doch nicht den Phoenix abzuwarten um heute schon das Ziel Europas zu klären und die Grundegeln des bestehenden Europas festzulegen, damit die absehbare Geschichte positiv in den Blick gefasst wird. Da lese ich doch in einer anderen Chronik von KL : « Und Europa muss gemeinsam auftreten und gemeinsam entscheiden ». http://eurojournalist.eu/europa-muss-sich-entscheiden/
    Ernest Winstein.

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