Götterdämmerung der europäischen Demokratie

Die Besetzung der europäischen Spitzenposten, wie sie sich die europäischen Staats- und Regierungschefs vorstellen, ist die Bankrotterklärung der europäischen Politik. Eine der letzten Chancen Europas wurde vertan.

War keine Kandidatin, soll trotzdem Kommissions-Präsidentin werden - die Fehlbesetzung des Jahres, Ursula von der Leyen. Foto: Mueller / MSC / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0de

(KL) – Der richtige Kommentar zu den Personalentscheidungen bezüglich der europäischen Spitzenposten kam bereits am Vorabend, als der französische Präsident Emmanuel Macron eine erfrischend realistische Einschätzung des Personalpokers abgab: „Wir haben alle zusammen versagt“. Recht hat er, der französische Präsident – die Verteilung der europäischen Spitzenposten ist leider wieder einmal nicht gelungen. Unter völliger Missachtung der Ergebnisse der Europawahl haben sich Deutschland und Frankreich durchgesetzt. Doch das sieht weniger nach der demokratischen Besetzung der europäischen Führungspositionen als vielmehr nach einer „feindlichen Übernahme“ Europas aus. Es ist erschreckend, wie weit entfernt von den Bürgerinnen und Bürgern Europas die Mächtigen ihre Geschäfte regeln. Und – mit den dringend benötigten europäischen Reformen wird es auch in dieser Legislaturperiode nichts.

Als Präsidentin der Europäischen Kommission hat Angela Merkel ihre Lieblingsschülerin Ursula von der Leyen durchgeboxt. Von allen denkbaren Optionen hat man also die mit Abstand schlechteste Möglichkeit gewählt. Nicht nur, dass es Ursula von der Leyen als Verteidigungsministerin nicht geschafft hat, der Bundeswehr auch nur so etwas ähnliches wie Einsatzbereitschaft zu verpassen, dazu hat sie gerade ein Verfahren am Hals, das man in Berlin den „Beraterskandal“ nennt. Die von ihr mehr oder weniger freihändig verteilten Millionenaufträge an Beraterfirmen werden gerade parlamentarisch untersucht und sie in dieser Situation auf Europas höchsten Posten zu befördern, darauf musste man erst einmal kommen. Weber? Timmermans? Vestager? Barnier? Da nahm man dann doch lieber die schwächste Kandidatin, auf die konnte man sich wenigstens einigen. Europa nivelliert sich nach unten.

Als Chefin der Europäischen Zentralbank, also praktisch als Hüterin des europäischen Portemonnaies, hat Emmanuel Macron seine Kandidatin Christine Lagarde durchgesetzt. Eine ebenso gute Wahl wie Ursula von der Leyen. Als Chefin des Internationalen Währungsfonds IWF hat Lagarde bereits nicht geglänzt und in Frankreich erinnert man sich an ihr Verfahren aufgrund der seltsamen Zahlung von rund 400 Millionen Euro aus der Staatskasse an Multimillionär Bernard Tapie im Rahmen des Verkaufs seiner Adidas-Aktien. Christine Lagarde wurde von den Gerichten der illegalen Zahlung für schuldig befunden, wobei sich das Gericht zu der seltsamen Formel „Schuldig ja, verantwortlich nicht“ durchrang. Auf Deutsch bedeutet das nichts anderes als „Sie sind schuldig, aber Sie haben gute Freunde, die darauf bestanden haben, dass Sie trotzdem nicht bestraft werden“. So war es dann auch. Schuldig und straffrei. Toll, dass diese Frau künftig Europas oberste Hüterin der Finanzen werden soll.

Als Präsident des Europäischen Rats, also als Nachfolger von Donald Tusk, wurde der belgische Premierminister Charles Michel gewählt. Da dieser Posten weniger Gestaltungsspielraum als die anderen Positionen bietet, tut das niemandem weh.

Der künftige EU-Außenbeauftragte soll der Spanier Josep Borrell werden. Angesichts des schwelenden Streits zwischen Spanien und Katalonien, in der die spanische Diplomatie eine jämmerliche Figur abgibt, muss man diesen Vorschlag als eine klare Stellungnahme der europäischen Institutionen für Spanien und gegen die katalanischen Abgeordneten werten. Also auch eine Fehlbesetzung.

Ja, und die anderen Kandidaten, die einstmals den Status eines „Spitzenkandidaten“ hatten? Keine Sorge, die EU hat auch Trostpreise zu vergeben. Frans Timmermans soll seinen bisherigen Job als Nummer 2 der Kommission behalten und Manfred Weber soll in der zweiten Hälfte der neuen Legislaturperiode die Präsidentschaft des Europäischen Parlaments übernehmen. In der ersten Hälfte soll ein Sozialist dieses Amt bekleiden, wahrscheinlich aus einem osteuropäischen Land.

Und damit schaffen die europäischen Institutionen nun die europäische Demokratie ab. Es ist unglaublich, dass eine Deutsche, die nicht einmal Kandidatin bei der Europawahl war, nun das wichtigste Amt der EU hinterhergeworfen bekommt. Von der Leyen, ohne ihr zu nahe treten zu wollen, bringt praktisch keinerlei Kompetenzen für diesen Job mit, führt das Konzept der Spitzenkandidaten ad absurdum und wird damit die Inkarnation der Missachtung des Wählerwillens der europäischen Bürgerinnen und Bürger.

Nun muss das Europäische Parlament wieder einmal den Notretter spielen und zeigen, dass es wirklich die einzig demokratisch gewählte Institution in Europa ist – das Parlament kann nämlich diesen ganzen Verein ausgedienter und in ihren Jobs nicht erfolgreicher PolitikerInnen wieder nach Hause schicken. Denn ohne die Zustimmung des Parlaments geht zum Glück nichts mehr. Nur – wird das Parlament den Mut haben, diese Reihe von Fehlbesetzungen abzulehnen?

Es ist erschreckend, wie wenig ein Wählervotum auf europäischer Ebene zählt. Niemand darf sich mehr wundern, dass sich die Menschen von dieser Politik der verschlossenen Türen abwenden. Der Verein abgehalfterter und gescheiterter Politiker Europas hat den Laden in Brüssel fest im Griff und wird genauso weitermachen wie bisher. Europa schafft sich immer weiter selbst ab, macht sich überflüssig und wird zum Selbstzweck der 33.000 EU-Beamten. Dabei war diese Wahl eine echte Chance, Europa auf einen neuen, besseren Weg zu bringen. Doch das haben Deutschland und Frankreich erfolgreich verhindert. Aus der „alten Welt“ der Politik wird nicht etwa eine „neue Welt“, sondern stattdessen eine „uralte Welt“. Mit dem Traum von Europa hat das alles nichts mehr zu tun – nach dieser Gruppenmasturbation von Europas Granden darf sich auch niemand mehr wundern, wenn nach den Briten weitere EU-Mitglieder aus diesem Verein aussteigen. Denn eines ist klar – in der neuen Legislaturperiode wird sich in Europa nichts zum Besseren wenden – denn das haben die neuen Topstars Europas leider nicht drauf. Viele Chancen wird Europa nicht mehr bekommen, sich auf das 21. Jahrhundert einzustellen…

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