Kein Überschwang beim Urnengang

Kennen Sie die Tierschutzpartei, ganz unten auf dem Zettel?

Blech vorm Kopf: Wahllokal in Freiburg am Sonntagmittag. Foto: Arne Bicker

(AB) – Samstagabend in einer ehemaligen Osteria mit hoher Decke in Freiburg. Aus dem mit einer Stahltür abgetrennten Nachbarraum wabert elektronische Gemüsemusik herüber; beim Wein sitzt eine – wie könnte es anders sein – gesellige Runde beisammen, das Gespräch driftet dem bevorstehenden Wahlsonntag entgegen. „Also ich habe bei diesem Online-Wahl-O-Mat mitgemacht“, sagt einer, „und herausgekommen ist, jetzt haltet euch fest, die Tierschutzpartei!“

„Tierschutzpartei? Gibt’s die überhaupt? Nie gehört“, entgegnet eine, Rechtsanwältin und Hundebesitzerin, und das Gespräch droht zu versiegen, als jemand den Faden aufnimmt: „Also ich gehe morgen nicht zur Wahl. Meine Stimme allein ändert ja eh nichts.” Das Gespräch nimmt nun Fahrt auf mit der klassischen Entgegnung: „Wenn jeder so denken würde!“ „Puh, Totschlagargument.“ „Doch, doch, wenn jeder so denken würde, dann wäre der Anarchie Tür und Tor geöffnet. Es ist deine staatsbürgerliche Pflicht als Demokrat zu wählen!“ „Eben nicht, es steht ja nicht unter Strafe, nicht zu wählen. Und was auch immer ich wähle – meine eine kleine Stimmviehwahlstimme ändert rein gar nichts am Ausgang der Wahl.“

„Ja, aber, wenn das eben jeder so machte, dann gute Nacht.“ „Ok, also gut. Ich entscheide mich hiermit gedanklich hochoffiziell und vor Zeugen, zur Wahl zu gehen. Nur ob ich es dann morgen tatsächlich tue oder nicht, das verrate ich nicht. Mir könnte ja was dazwischenkommen. So denken sicher nicht viele, also würde auch nicht jeder so denken, und alles ist ok, oder?“

„Du spinnst doch! So geht das nicht! Wenn du schon nicht für Etwas deine Stimme geben willst, dann wähle wenigstens gegen die Hetzer, also irgendwen, nur nicht die.“ „Aha, irgendwen also, obwohl wir eh alle schon jetzt wissen, dass die Hetzer genug Stimmen bekommen werden, und auch da gilt doch, meine einzelne Stimme verhindert auch nichts.“

Mittlerweile ist es spät geworden, und die Runde beschließt einstimmig als Absacker und zur Feier des bereits angebrochenen Wahlsonntags noch einen Cockteil zu trinken. Die Wahl fällt auf die Hemmingway-Bar in der Eisenbahnstraße. Es folgen ein Fußmarsch und das späte Glück, in der gut besuchten Bar noch einen freien Tisch gefunden zu haben. Die Runde nimmt Platz und vertieft sich in die Cocktailkarten, die ein freundlicher Kellner sofort verteilt hat.

Die Diskussion dreht sich um Gin-Tonic oder Gurkencocktail, als der freundliche Kellner bemerkt: „Sie können übrigens nur noch Wein oder Bier bestellen, die Bar schließt um zwei Uhr, und es ist jetzt schon Viertel vor.“ Es folgt die Ansage: „Es gibt keine Cocktails oder Longdrinks mehr.“ Die Runde schweigt andächtig und blickt sich im Raum voller genüsslich trinkender und sich unterhaltender Menschen um. „Hier, im Lokal unserer Wahl, wird einem vorgeschrieben, was man wählen muss“, sagt einer.

„Tja, da seht ihr mal“, meint der potenzielle Tierschutzparteiwähler in das fassungslose Staunen hinein, „so war das auch damals, in der DDR, und da gab es sogar nur einen Wahlpunkt, quasi die Weinbierschorle.“ Das Gespräch schlägt um ins Unsachliche: „Du meinst nicht den Wahlpunkt, sondern den Wahlkreis, in den man sein Kreuz macht.“ Am Ende beträgt die Wahlbeteiligung in diesem Wahllokal exakt zwanzig Prozent, denn eine der fünf verhinderten Cocktailwähler wählt vor dem Heimweg, wenn auch im Ansatz tendenziell halbherzig, ein Mineralwasser.

wahlplakat
Ganz schön verwirrend: Landtagswahlplakate. Foto: Bicker

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