Recep „Theresa“ Erdogan macht Ernst

Der türkische Regent und die britische Premierministerin haben beide eins – große Probleme mit dem Willen ihrer Völker. Im Zweifelsfall kehrt man dann eben doch den Diktator hervor.

Um den Chefsessel des Istanbuler Rathauses geht es... Foto: User:Darwinek / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – „Es gibt mehrere Dinge, die man nicht wählen kann“, kommentieren seufzend die Anhänger des CHP-Politikers Ekrem İmamoğlu; „seine Familie, seine Hautfarbe, sein Heimatland und – den Bürgermeister von Istanbul“. In der Tat, der Kandidat der CHP für das Bürgermeisteramt von Istanbul, der als knapper Wahlsieger genannt wurde (vor der bislang auch nach 12 Tagen nicht erfolgten Verkündung eines amtlichen Wahlergebnisses), ist alles andere als sicher, dass er die Nachfolge des früheren AKP-Regierungschefs Binali Yildirim antreten kann. Erdogan will nur das machen, was Theresa May seit Wochen erfolglos im Unterhaus versucht – die Menschen so lange abstimmen lassen, bis man ein Ergebnis hat, mit dem man zufrieden ist.

Dabei wird Erdogan ein wenig Opfer seiner eigenen markigen Sprüche. Als er in den 90er Jahren selbst zum Bürgermeister der Bosporus-Metropole gewählt wurde, hatte er den Satz geprägt: „Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei!“. Verständlich, wenn man bedenkt, dass die rund 16 Millionen Einwohner des Großraums Istanbul auch rund 30 % des türkischen BIP erwirtschaften. Und deswegen passt es Erdogan gar nicht, dass nach den Bürgermeisterwahlen in der Türkei neben Ankara auch die AKP-Hochburg Istanbul an die oppositionelle CHP gehen soll.

Der Vorsprung, den die TV-Sender nach der Wahl zugunsten von Ekrem İmamoğlu auswiesen, waren gering. Es soll um 300 000 Stimmen Vorsprung gehen. Also wurde nachgezählt, es wurden angebliche Verstöße gegen das Wahlrecht ermittelt, nicht existente Personen auf den Wahllisten gefunden und das ging dem Musterdemokraten Erdogan dann doch zu weit – nachdem auch das wohlwollende Nachzählen keine Mehrheit für seinen Kandidaten ergeben hatte, sondern, wie man munkelt, immer noch 14.000 Stimmen Vorsprung für Ekrem İmamoğlu, da fand der türkische Präsident, dass das so nichts Richtiges sei und man die Wahl in Istanbul doch für ungültig erklären und wiederholen sollte.

Die Chancen, dass Erdogan damit durchkommt, stehen hoch. Vermutlich wird es ein Schnellverfahren vor dem Obersten Gerichtshof geben und man erinnert sich dunkel, dass Erdogan nach der Niederschlagung des „Putsches“ das gesamte Justizsystem (und andere – Armee, Schulen, Universitäten, Verwaltungen) ausgetauscht und alle Schlüsselpositionen mit seinen Leuten neu besetzt hatte. Da wird man sich doch unter Freunden mal einen Gefallen tun können…

Der Verlust der großen Städte ist ein herber Schlag für Erdogan, auch, wenn parteinahe Organe schnell ausrechnen, dass wenn man genau hinschaut, die AKP eigentlich gar nicht sooo viel verloren hat – doch dort, wo die Wirtschaftskraft und das Kapital sitzen, von dort weht auch der politische Wind. Die steile Inflation, der Rückgang im Tourismus, eine hohe Arbeitslosigkeit, all das beunruhigt die einflussreichen Kreise in den Städten. Erdogans Allmachtsphantasien enden dort, wo die Wirtschaft schrumpft, die Arbeitslosigkeit wächst und soziale Spannungen entstehen können. Gegen solche Entwicklungen helfen schon mittelfristig auch keine repressiven Maßnahmen mehr, im Gegenteil.

Dass nun der AKP die Bürgermeistersessel in den Städten abgenommen werden, ist mehr als eine gelbe Karte für Erdogan. Er wird seinen Kurs ändern müssen – die Frage des Wahlergebnisses in Istanbul könnte für ihn zum Fanal werden. So paradox es klingt – Erdogan würde seine Position als Präsident stärken, würde er die Niederlage in Istanbul anerkennen. Sollte er aber diesen erneuten Anschlag auf die Demokratie durchziehen und dann eine Wiederholungswahl erneut verlieren, könnte das bereits der Anfang von Ende der Ära Erdogan sein.

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