Regionalwahlen in Frankreich: Angst essen Seele auf

Offenbar haben die Anschläge von Paris den Franzosen nicht nur die Seele schwer gemacht, sondern auch den Verstand vernebelt – das Land begibt sich freiwillig in die Hände der Rechtsextremen.

Frankreich muss ganz schön verzweifelt sein, um die Schlüssel des Landes ausgerechnet der Führerin der Rechtsextremen in die Hand zu drücken. Foto: NdFrayssinet / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Es hatte sich abgezeichnet – der rechtsextreme Front National, die Partei von Marine Le Pen, ist der große Gewinner des ersten Wahlgangs für die neuen Regionalparlamente in Frankreich. Doch anders als vorhergesagt, liegen die Rechtsextremen nicht nur in zwei Regionen vorne, sondern gleich in sechs von 13 neuen Regionen, darunter auch im Elsass. Nächsten Sonntag stehen nun die Stichwahlen an, danach wird Bilanz gezogen. Doch den Teufel werden auch die Franzosen nicht mit dem Beelzebub austreiben können.

Wie bei den Europawahlen 2014 liegt der rechtsextreme Front National auch bei den Regionalwahlen deutlich an der Spitze der Wählergunst. Mit einem Ergebnis, das an die 40 % heranreicht, lassen die Rechtsextremen sowohl die Konservativen (um die 27 %) als auch die Sozialisten (um die 23 %) deutlich hinter sich. Und in folgenden Regionen liegt der rechtsextreme Front National nach dem ersten Wahlgang vorne: in den Regionen Nord-Pas-de-Calais-Picardie und PACA (Provence-Alpes-Côte d’Azur) waren die Rechtsextremen vorne erwartet worden, in der neuen ostfranzösischen Großregion Elsass-Lothringen-Champagne-Ardenne, in der Region Centre-Val-de-Loire, im Languedoc-Roussillon-Midi-Pyrénées und in der Bourgogne-Franche-Comté allerdings nicht. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, überschlugen sich noch gestern Abend die Spitzen der Konservativen und der Sozialisten und übertönten sich gegenseitig, dass keine der beiden Formationen vor dem zweiten Wahlgang einen Rückzieher machen wolle, damit ein „republikanisches Bündnis“ die Machtübernahme der Rechtsextremen in Frankreichs Regionen verhindern kann.

Das bedeutet, dass weder die Konservativen „Republikaner“ noch die Sozialisten begriffen haben, was die Stunde geschlagen hat. Frankreich steht an der Schwelle, ein rechtsextremes, nationalistisches, europafeindliches Land zu werden, nachdem die traditionellen Volksparteien im regelmäßigen Wechsel das Wählervertrauen enttäuscht und letztlich verloren haben und selbst nach diesem katastrophalen Wahlabend meinen sowohl die Konservativen als auch die Sozialisten, dass sie einzeln auch nur den Hauch einer Chance hätten, den Vormarsch der Rechtsextremen zu stoppen. Diese geradezu historische Fehleinschätzung könnte dazu führen, dass sich Frankreich „kampflos“ einer rechtsextremen Formation überlässt, die in Frankreich einen Schaden anrichten wird, über den die Franzosen offenbar noch nicht nachgedacht haben.

Nun ist es in Frankreich schon lange Tradition, bei lokalen und regionalen Wahlen den Regierenden „Denkzettel“ zu verpassen, doch das Ergebnis vom Sonntagabend ist kein „Denkzettel“, sondern die Götterdämmerung des freiheitlichen Frankreichs.

Für die aktuellen Probleme des Landes haben die Rechtsextremen genau so wenig Antworten wie die anderen Parteien – ihr Konzept ist Ausländerhass, Europafeindlichkeit, extremer Nationalismus und eine aggressive Politik gegenüber Minderheiten, mit denen das eigene nationale Selbstwertgefühl gesteigert werden soll. Ähnliches haben wir in Deutschland in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts erlebt und es ist erstaunlich, dass die Franzosen, die so sehr unter den deutschen Rechtsextremisten gelitten haben, nun selber einen Rechtsschwenk vollführen, der ihr Land und ganz Europa in eine ganz gefährliche Entwicklung führt.

Es gibt nur einen Weg, diese rechtsextreme Gefahr noch aufzuhalten – ein „republikanisches Wahlbündnis“, das ähnlich wie 2002, als der Vater von Marine Le Pen, der Parteigründer Jean-Marie Le Pen („Die Gaskammern im III. Reich sind nur ein Detail der Geschichte…“) den zweiten Wahlgang bei den Präsidentschaftswahlen gegen Jacques Chirac erreichte. Damals taten sich Konservative und Sozialisten zusammen und Chirac gewann die Stichwahl mit 88 % der Stimmen. Doch 2015 ist nicht 2002 und sollten sowohl die „Republikaner“ als auch die „Sozialisten“ ihre Kandidaten im zweiten Wahlgang halten, dann werden es die beiden früheren Volksparteien sein, die den Front National tatsächlich an die Macht gebracht haben werden.

Wie verzweifelt müssen die Franzosen sein, wie verängstigt, wie verwirrt, dass sie diejenige Partei an die Macht bringen wollen, die keine Lösungen vorschlägt, sondern eigentlich nur das Land ins Chaos stürzen will? In dieser Woche wird sich die Zukunftsfähigkeit der französischen Parteien entscheiden – wenn sie es nicht schaffen, gemeinsam den Rechtsextremen Einhalt zu gebieten, dann machen sie sich selbst überflüssig. Und Frankreich wird auf Jahre hinaus in einem rechtsextremen Sumpf versinken, aus dem das Land nur mühsam wieder herausfinden wird.

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