Post-demokratischer Ultraliberalismus

Den aktuellen Streik der Eisenbahner in Frankreich hat sich die Regierung Macron selbst zuzuschreiben. Der soziale Kahlschlag der neuen Regierung ist beunruhigend.

So werden die nächsten drei Monate auf Frankreichs Bahnhöfen aussehen... Foto: Jean-Pierre Dalébra, Paris, France / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Frankreich ächzt bereits nach dem zweiten Streiktag unter dem Arbeitskampf der Eisenbahner, der das ganze Land lahmlegt. Pendler kommen nicht zur Arbeit, Güter werden nicht bewegt und das ist erst der Anfang, denn dieser Streik wird geschlagene drei Monate dauern. Wie bei jedem Streik, der so richtig wehtut (wir erinnern uns in Deutschland an die Streikwelle der GDL, als wochenlang keine Züge fuhren…), ist die Stimmung gereizt, die Franzosen fühlen sich als Geiseln eines Berufsstands. Doch hat sich die Regierung Macron diesen Arbeitskampf selbst zuzuschreiben, denn der Versuch, soziale Errungenschaften der letzten Jahrzehnte per Dekret auszulöschen, ist gelinde gesagt ungeschickt.

Dieser Streik ist kein Arbeitskampf um mehr Lohn und Gehalt, bessere Arbeitsbedingungen oder andere Annehmlichkeiten – es handelt sich um einen rein politisch motivierten Streik, denn die Regierung Macron beabsichtigt die Privatisierung der Staatsbahn SNCF, was den Status der Eisenbahner als Beamte und Angestellte des Öffentlichen Dienstes beendet. Dass die Eisenbahner damit nicht einverstanden sind, wen wundert’s? Und so erklärt sich auch das Paradoxon, dass dieser Streik stattfindet, bevor überhaupt Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern aufgenommen wurden. Dabei steht zu befürchten, dass es gar nicht erst zu richtigen Verhandlungen zwischen den Gewerkschaften und der SNCF kommen wird, denn der entscheidende Ansprechpartner dürfte kaum mit am Tisch sitzen – die Regierung.

Sozialer Kahlschlag. – Warum die Regierung Macron sich bislang darauf beschränkt, einen sozialen Kahlschlag durch das Land zu ziehen, ist schwer nachvollziehbar. Fast hat man den Eindruck, als wolle Macron das Land spalten. Auf der einen Seite die Wohlhabenden, die von der neuen Regierung beispielsweise dadurch profitieren, dass die Sondersteuer auf große Vermögen (ISF) einfach abgeschafft wurde und auf der anderen Seite die weniger Begüterten, die Macron ein Dorn im Auge zu sein scheinen. So war völlig unverständlich, warum Macron als eine der ersten Maßnahmen das Wohngeld für alle Berechtigten um 5 € kürzte. Diese Maßnahme spült keine nennenswerten Beträge in die Staatskasse, ist aber ein deutliches Signal an alle, für die 5 € Geld sind: „Zieht euch warm an!“

Die Privatisierung der Staatsbahn folgt verschiedenen Beispielen von Privatisierungen in Frankreich, die allesamt Flopps waren. So profitierten nur die privaten Betreiber von der Privatisierung des Autobahnnetzes und genauso zweifelhaft ist die Struktur des Energie-Staatsmonopolisten EdF, dessen Sonderstellung Frankreich ganz und gar nicht gut tut. Die Beispiele von Privatisierungen der Bahn in anderen Ländern ist auch nicht unbedingt ein Beispiel, dem Frankreich folgen sollte und so ist verständlich, dass die Eisenbahner reagieren, bevor Macron wieder per Dekret Tatsachen schafft. Dass er dies gerne tut, das weiß man, denn Macron mag die Unsicherheit von Abstimmungen im Parlament nicht, weswegen er gerne per Dekret und damit am Parlament vorbei regiert. Doch dieser post-demokratische Politikstil wird in Frankreich nicht so einfach durchgehen, der Arbeitskampf hat begonnen.

Ihr da oben, wir da unten… – Da dieser Kahlschlag gleichzeitig auch in anderen Bereichen des Öffentlichen Dienstes stattfindet, beispielsweise durch Budget- und Mitarbeiterkürzungen bei den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, kann man davon ausgehen, dass die fünf Jahre der Amtszeit Macrons von sozialen Unruhen und Arbeitskämpfen geprägt sein dürften. Dabei ist vollkommen klar, wo der Präsident steht – weit weg von seinem Volk, in der High Society, dort, wo die Freunde Macrons hemmungslos von dessen Klientelpolitik profitieren.

Und plötzlich erinnert man sich an die zwei Jahre, in denen Macron bereits als Wirtschaftsminister der Regierung Valls/Hollande von einem Misserfolg zum nächsten taumelte. Wie bei seinem Arbeitsmarktprogramm, in dessen Rahmen er den großen Unternehmen Frankreichs mal so eben 50 Milliarden Euro spendierte, ohne dass dafür eine Gegenleistung gefordert wurde, in der vagen Hoffnung, die Unternehmen würden Arbeitsplätze schaffen. Das allerdings blieb aus, die Unternehmen polierten mit dem unerwarteten Geldgeschenk ihre Quartalszahlen auf (was wiederum Macrons Freunden und früheren Kollegen bei der Banque Rothschild große Freude machte, da die Aktienkurse stiegen…) und das „Konjunkturprogramm“ verpuffte ebenso wie aktuell die Hoffnung, unter dem nassforschen Präsidenten könne sich irgendetwas zum Besseren wenden. Vielleicht ist Macron doch nicht der politische Messias?

Die kommenden drei Monate werden das reine Chaos in Frankreich werden und dieser Streik wird das gerade vorsichtig aufblühende Pflänzchen des Konjunkturaufschwungs in Frankreich sofort ersticken. Die Eisenbahner haben vollkommen Recht, sich mit Händen und Füssen gegen den Abbau sozialer Errungenschaften zu wehren. Denn sollte Macron mit dieser Nummer durchkommen, dann ist eigentlich nur die Frage, was er als nächstes abbauen wird. Den 8-Stunden-Tag? Das arbeitsfreie Wochenende? Das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren? Aber immerhin beschert uns Emmanuel Macron einen neuen Begriff, mit dem seine Politik zu bezeichnen wäre: „Post-demokratischer Ultraliberalismus“. Ein Konzept, das keine Chance haben wird.

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