Serie (3): Europäische Gelder für die Mafia?

Heute: Die Strukturen des organisierten Verbrechens in Italien - Mafia, N'Dragheta und Camorra. Funktionsweise und Veränderungen in der Strategie dieser Organisationen, die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden haben.

„Il sistema“ ist nichts anderes als der „Parallelstaat“... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(Kai Littmann) – Die Geschichte Italiens ist auch die Geschichte der Organisationen des organisierten Verbrechens. Die ersten mafiösen Strukturen entstanden zur Zeit der muslimischen Eroberung, als die christlichen Fürsten in den Untergrund gingen, um ihre Ländereien im Geheimen weiter zu regieren. Aber erst mit den Auswanderungswellen in die USA im 19. Jahrhundert wurden diese Organisationen auch außerhalb Italiens bekannt. „Mafia“ ist ein allgemeiner Ausdruck, verschiedene, oft regionale Gruppen und Untergruppen charakterisieren diese Strukturen bis heute.

Die drei größten Strukturen des organisierten Verbrechens in Italien sind die sizilianische „Cosa Nostra“, die neapolitanische „Camorra“ und die „N’dragheta“ in Kalabrien. Jede dieser Untergrundorganisationen ist in Untergruppen unterteilt und es gibt weitere regionale und sogar lokale mafiöse Gruppen.

Obwohl die „Mafia“ zunächst eine Art bäuerliche Widerstandsorganisation war, die die Interessen der Ärmsten gegen die Steuern verteidigte, die der Norden nach dem Anschluss Siziliens und Süditaliens an Italien auferlegte, erlebte die kriminelle „Karriere“ dieser Organisationen einen außergewöhnlichen Aufschwung, nachdem viele Italiener im 19. Jahrhundert in die USA ausgewandert waren, insbesondere dank der Alkoholprohibition, die es diesen Organisationen ermöglichte, sehr schnell sehr einflussreich und wohlhabend zu werden.

Die Strategie all dieser Organisationen besteht darin, alle einflussreichen und reichen Strukturen zu infiltrieren, also die staatlichen Institutionen, die Justiz und die großen Unternehmen. Diese Situation besteht auch heute noch und die Allgegenwart der Mafia-Organisationen ist mehr denn je eine der größten Geißeln dieses wunderschönen Landes, das Italien ist.

Die „Mafia“ hat die Macht, Minister und Richter einzusetzen, sie ist an allen großen Projekten beteiligt, die mit privaten und öffentlichen Geldern durchgeführt werden, und die Korruption ist auch heute noch das tägliche Brot in Italien. Dieser Zustand sollte die Europäische Union auf den Plan rufen, denn viele Infrastruktur- und andere Projekte werden dort mit europäischer finanzieller Unterstützung durchgeführt.

Noch vor wenigen Jahrzehnten lieferten sich die verschiedenen Mafiagruppen erbitterte Kämpfe um die Macht. Schießereien, Morde, Entführungen – die „Mafia“ verbreitete Angst und Schrecken, aber gleichzeitig erzeugte diese Gewalt eine schlechte Presse. Die Ermordung von Richter Giovanni Falcone, von Paolo Borsellino und anderen im Jahr 1992 sollte eine Änderung in der Strategie dieser Gruppen auslösen, da „Mafiajäger“ Giovanni Falcone in Italien sehr beliebt und das Land von den Morden schockiert war.

Seitdem vermeiden die Mafiaorganisationen in der Regel solche spektakulären Gewaltakte und konzentrieren sich auf den wirtschaftlichen Aspekt ihrer Aktivitäten. Die Infiltration der Politik, des Justizsystems und der Wirtschaft ermöglicht den Zugang zu öffentlichen Aufträgen und in vielen Fällen sind die Feinde von gestern zu Partnern von heute geworden, die die Aufträge unter sich aufteilen.

Im Fall der Gaspipelineprojekte, die uns im Rahmen dieser Serie interessieren, ist die Beteiligung mafiöser Organisationen allgegenwärtig. Die Projekte werden an Unternehmen vergeben, die zum Teil mit diesen Organisationen verbunden sind; das Rechtssystem sorgt dafür, dass die Verantwortlichen straffrei bleiben und die Politik schafft den Rahmen, in dem diese Strukturen unbehelligt operieren können. Die Leidtragenden sind diejenigen, die korrekt arbeiten wollen und sich weigern, diese Strukturen zu entlohnen.

Heute erzielen die mafiösen Organisationen laut dem italienischen sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut „Eurispes“ einen geschätzten Jahresumsatz von 140 Milliarden Euro, was 7,2 % des italienischen BIP entspricht.

Eine Handvoll mutiger Richter und Staatsanwälte bekämpft jedoch unter Einsatz ihres Lebens diese kriminellen Strukturen. Sie zahlen einen hohen Preis, da sie von der Politik, die ihrerseits diese Strukturen aus Eigeninteresse schützt, unter unglaublichen Druck gesetzt werden. Die Abstimmung am 6. September im italienischen Parlament, die eine Generalamnestie für die „Kriminellen der Oberschicht“ einführen will, spricht Bände.

Angesichts der Machenschaften des organisierten Verbrechens in Italien kann die Europäische Union nicht länger tatenlos zusehen, wie das Geld der europäischen Steuerzahler diese mafiösen Organisationen in Italien finanziert. Bei Infrastrukturprojekten von solcher Bedeutung wie Gaspipelines, die zur Energieversorgung eines Großteils Europas beitragen, wird es unerlässlich sein, die notwendigen Kontrollen einzuführen, die verhindern würden, dass ein Teil dieser europäischen Gelder weiterhin das organisierte Verbrechen finanziert. Die Europäische Union verfügt über die notwendigen Mittel, um die Finanzierung des organisierten Verbrechens zu verhindern, nur müssen diese auch umgesetzt werden. Denn Italien und auch Europa haben Besseres verdient, als unter dem Kommando eines kriminellen Systems zu stehen, das heute in gewisser Weise das ganze Land regiert.

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