Serie (4): Europäisches Geld für die Mafia?

Heute: Die Infrastruktur der Gaspipelines in Italien. TAP (Trans Adriatic Pipeline) und TMP (Trans Mediterranean Pipeline) - Bau, Entwicklung und Perspektiven.

Gaspipelines zu bauen erfordert ein enormes Know-How und viel Erfahrung. Foto: privat

(Kai Littmann) – Italien ist der Ankunftsort für Erdgas aus Aserbaidschan (TAP, Trans Adriatic Pipeline) und Afrika (TMP, Trans Mediterranean Pipeline). Die TAP kommt in Europa in Apulien in San Foca an, die TMP in Sizilien. Von dort aus wird das Gas über ein Netz von Pipelines durch ganz Italien transportiert, mit zahlreichen Abzweigungen, um die italienischen Städte mit Gas zu versorgen und das Gas auch nach Norden und in andere europäische Länder zu transportieren. In einer Zeit, in der sich Europa vom russischen Gas unabhängig machen will und muss, ist diese Infrastruktur von strategischer Bedeutung für die Versorgung Europas mit Erdgas. Die Europäische Union kofinanziert diese Projekte, die in der Liste der 195 zentralen Energieinfrastruktur-Projekte, den sogenannten „Projekten von gemeinsamem Interesse“, aufgeführt sind. Mit einem Volumen von mehreren Milliarden Euro (TAP 6 Milliarden Euro) haben diese dynamischen Projekte, die ständig erweitert werden, die Aufmerksamkeit des organisierten Verbrechens in Italien geweckt, dessen Strategie zunehmend darin besteht, sich öffentliche Aufträge anzueignen, dank des Wohlwollens von Politikern und einem teilweise korrupten Justizsystem.

Der Bau solcher Gaspipelines erfordert ein außergewöhnliches Know-how und Fachwissen. Gaspipelines durchqueren ganz Italien, führen durch unwegsames Gelände, erfordern Spezialmaschinen und sind somit eine der kompliziertesten Baustellen, die man sich vorstellen kann. Die Generalunternehmen, die mit der Errichtung dieser riesigen Bauwerke beauftragt wurden und werden, haben Spezialfirmen eingeschaltet, und hier beginnt unser Fall. Denn diese Spezialfirmen wurden für ihre Arbeit nicht vollständig bezahlt, ein Teil des Geldes, das für sie bestimmt war, ging in den Wirrungen der Korruption und in den Kassen des organisierten Verbrechens verloren.

Gemäß dem Anti-Mafia-Gesetz (Legge 55/1990) hätten die Auftraggeber und damit die Partner der Europäischen Kommission anstelle des Generalunternehmers die Rechnungen der ausführenden Unternehmen begleichen müssen. Dies war jedoch nicht der Fall. Im Gegenteil – die Unternehmen, die logischerweise Klage eingereicht hatten, um bezahlt zu werden, wurden von der Justizmaschinerie zermalmt, die Akten wurden von einem Gericht zum anderen weitergeleitet, wo korrupte Richter sie „verloren“, Verfahren einfach eingestellt und Prozeduren „vergessen“ wurden. Das Ergebnis: Hunderte von Arbeitsplätzen gingen verloren, zahlreiche Unternehmen im Hoch- und Tiefbau wurden zerstört, es kam zu wirtschaftlichen und menschlichen Dramen. Und das alles mit der Duldung der Politik, die sehr früh über die finanziellen Missstände im Rahmen dieser Projekte informiert worden war.

Damit das organisierte Verbrechen „seinen Anteil“ an den Milliarden, die in diese Projekte investiert wurden, erhalten konnte, wurden spezialisierte Unternehmen und korrekte Bauunternehmer, die sich weigerten, die mafiösen Strukturen zu bezahlen, geschädigt und zerstört, und „il sistema“, das Konglomerat aus organisiertem Verbrechen, Politik und Justizsystem, entfaltete seine ganze Macht. Die Mechanismen dieses Systems werden in dem Artikel über den Unternehmer Rosario Leo später in dieser Serie konkret vorgestellt.

Da es sich um von der Europäischen Union mitfinanzierte Projekte handelt, hätte es jedoch Kontrollen geben müssen, die Europäische Union hätte auf die zahlreichen Rechtsverfahren reagieren müssen, die „il sistema“ in Frage stellen. Aber offensichtlich haben alle lieber weggeschaut und diese unerklärliche Untätigkeit hat nicht nur zum Verlust zahlreicher Arbeitsplätze geführt, sondern auch zur Finanzierung des organisierten Verbrechens in Italien, mit dem Einverständnis aller Beteiligten von „il sistema“.

Angesichts der Macht von „il sistema“ warfen die meisten der betroffenen Unternehmer schließlich das Handtuch. Aber nicht alle. Einige der betroffenen Unternehmer kämpfen seit fast drei Jahrzehnten für Gerechtigkeit, aber sie laufen gegen eine Mauer, die von der Justiz, korrupten Politikern und Unternehmen, die mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung stehen, errichtet wurde.

Die einzigen, die diese Finanzierung des organisierten Verbrechens stoppen können, sitzen in Brüssel. Normalerweise sind es zwar Einrichtungen in den betroffenen Ländern, die die ordnungsgemäße Verwendung der investierten EU-Gelder kontrollieren. Wenn man jedoch weiß, dass es dem organisierten Verbrechen gelingt, einen Teil dieser Gelder in die Hände zu bekommen, sollten strenge Kontrollen eingeführt oder diese Finanzierungen gestoppt werden, indem andere Akteure mit diesen Projekten beauftragt werden.

Ja, es handelt sich um wichtige Projekte für Europa, aber es ist Aufgabe der EU-Institutionen, die Kontrolle so zu gestalten, dass das organisierte Verbrechen diese europäischen Gelder nicht in die Hände bekommt. Wenn man bedenkt, dass der nächste Bauabschnitt für 2024 geplant ist, wäre dies vielleicht ein guter Zeitpunkt, um in Brüssel aufzuwachen und diesen Machenschaften ein Ende zu setzen.

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