Sieg ohne Kater: SIG statt Katar

Na, schon schlechtes Gewissen? Doch Fußball-WM geguckt? Bevor die Boykotterklärung zur Bankrotterklärung wird, muss gleichwertiger Ersatz her: Ein Sportereignis an der Hochleistungsgrenze, das Spannung verspricht und bei dem man unbefangen mitfiebern kann. Und siehe, das gibt es!

Wo kann man das noch? Einfach unbeschwert Fan sein, auch wenn es so manches Mal ganz schön nervenaufreibend sein kann, wenn es bis in die letzten Sekunden spannend bleibt. Applaus gibt es aber so oder so von den wahren Fans von SIG Strasbourg. Foto: © Michael Magercord

(Michael Magercord) – Ach je, unser WM-Boykott… also ähm, ich und so… hüstel, es war wie ein nicht zu bändigendes Verlangen… öh, da habe kurz auf die Fernbedienung… Ach nee, es folgt jetzt doch kein Bekennerschreiben. Ich werde auch niemanden mit hineinreißen, ich gebe es einfach unumwunden zu: Ich habe ein WM-Spiel in voller Länge verfolgt, mich klammheimlich über dessen Ausgang gefreut, und ansonsten festgestellt, dass es mich gar nicht mehr besonders interessiert, dieses olle Gekicke in diesem Umfeld – ganz unabhängig davon, ob nun Boykott herrscht oder nicht.

Ein echter Boykott, der ja etwas ähnliches wie eine Sanktion ist, müsste richtig wehtun. Sanktionen, das haben wir in den letzten Monaten lernen müssen, verlangen uns, den Sanktionierern, was ab, ansonsten bleiben sie wirkungslos – auch in ihrer Wirkung auf uns selbst, die in der Bestätigung unserer eigenen Haltung liegt. Dazu taugt natürlich pures Desinteresse nicht. Außerdem ändert sich ja ohnehin in Katar und anderswo rein gar nichts, wenn ich kein Fußball gucke. Ein traditionell verankertes autokratisches System, das sich auf eine tief wertkonservative Gesellschaft stützt, mal holterdiepolter mit ein paar Fußballspielen grundlegend ändern zu wollen, ist sowieso eine Hybris. Sie entspringt aber der moralisch aufgeladenen Debattenkultur hierzulande und dem Drängen, in diesen aufgeregten Zeiten unbedingt immer auf der guten Seite stehen zu wollen.

Natürlich ist das auf Dauer nicht so einfach zu haben, werden doch auch im Fußball ab und an die Seiten gewechselt. Wie wurde kürzlich in einer der unzähligen TV-Talkrunden zum Thema so schön gefragt: Wie würden wir in Deutschland darauf reagieren, wenn die erhoben zeigefingernden Beobachter aus der Ferne es von den Arbeitsbedingungen der ausländischen Niedrigstlöhner in unseren Schlachthöfen abhängig machten, ob ihre Nationalmannschaften hier die EM 2024 spielen werden?

Darauf fiel einer unserer Vorzeige-Liberalen-Politikerin, die nur allzu gerne Panzer in die Ukraine schicken will, weil dort europäische Werte verteidigt werden, nur die Antwort ein: Die deutschen Schlachtbetriebe stehen unter Konkurrenzdruck, die könnten nichts anders, wollen doch die Verbraucher partout keine höheren Preise zahlen. Aber scheinheilig sind nicht nur Liberale und Fleischvertilger, das Gas aus Katar werden wir alle gerne nehmen, wenn es nicht zu teuer ist. Dann es ist uns nämlich Wurst, wer das dort unter welchen Bedingungen für uns aus der Erde leiert – zumal jetzt, wo wir es uns aus dem Turnier bereits erfolgreich verabschiedet haben.

Das erleichtert zwar nun die Frage nach dem Boykott, denn lohnt es sich, sich jetzt immer noch zum dazu aufzurappeln? Na klar! Denn das eigentliche Ziel ist gar nicht Katar, die Scheichs und ihre Harems und Schatullen, sondern dieser ganze Profisport-Zirkus an sich! Dieses durchgestylte Event! Dieses Funktionärsgesindel! Diese unanständigen Gehälter für halbe Kinder! Dem sollte ein Boykott gelten, jawoll! Wer nicht guckt, der straft die Sponsoren mit Nichtachtung. Wer nicht guckt, der straft die TV-Anstalten, die dafür Geld ausgeben – und zwar ganz besonders unsere öffentlich-rechtlichen, die für diese WM zweihundert Millionen Euro nur für die Übertragungsrechte aus den zwangsweise eingetriebenen Gebührengeldern rausgeworfen haben. Das grenzt an Umverteilung von unten nach oben. Unsere Antwort: Boykott!

Jö… nun ja, muss es denn gleich… also sooo konsequent… Nein, muss es nicht! Denn es gibt meist immer eine Alternative zur totalen Verweigerung des eigenen Spaßes. Und wir Straßburger haben Glück, denn wir haben SIG. Sieg? Nein: SIG, die Basketballer aus Illkirch-Grafenstaden. Und auch mit SIG gibt es so manchen Sieg zu feiern. Zugegeben, man brauchte in den letzten Monaten etwas Geduld, um einen Grund zum Jubeln zu haben, denn der Start in die Saison verlief ziemlich holprig. So sehr, dass die Spieler nach acht Liga-Begegnungen sogar die rote Laterne in der Tabelle übernehmen mussten. Einer muss ja, könnte man sagen, aber damit hat sich die Vereinsführung nicht zufriedengegeben. Obwohl es international in der Basketball Champions League nicht einmal schlecht lief, wurde vor drei Wochen der Trainerwechsel vollzogen und siehe: Seither gab es nur Siege, vier an der Zahl.

Der junge Finne Lassi Touvi, der unter dem legendären Trainer Vincent Collet Co-Trainer war, übernahm nach der Entlassung seines Chefs im Januar 2020 das Zepter und es folgten zwei Spielzeiten, in denen es gut lief. Doch nun war Schluss. Der neue Trainer ist ein älterer, der Italiener Luca Banchi, und er hat die Aufgabe, das Minimalziel noch zu erreichen: die Play-Offs im Mai 2023.

Wo lag also das Problem? Es ist ein strukturelles, oder sollte man sagen: ein globales? Der europäische Profi-Basketball ist nämlich im Grunde eine höchst seltsame Veranstaltung – oder sollte man sagen: Er repräsentiert die globalisierte Welt und ihre Ordnung sogar besser, als der olle Fußball? Die Mannschaften, die zwar unter ortsgebundenen Vereinsnamen antreten, sind nämlich eigentlich keine, sie sind zu jeder Saison aufs Neue komplett zusammengewürfelte Truppen. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, dass vor dem Beginn einer Saison alle Spieler, die in Europa tätig sind, in ein großes Füllhorn steigen. Das wird kräftig durchgerührt und dann werden so rund ein Dutzend Spieler über jedem Verein ausgeschüttet, wobei jedes Mal mindestens zwei US-Amerikaner aus der Wundertüte purzeln. Damit muss der Trainerstab für diese eine Spielzeit dann irgendwie eine halbwegs funktionierende Einheit basteln und bei Laune halten.

Natürlich ist alles ganz anders. In unserer Welt der Leistungsbemessung suchen die Vereine Spieler für bestimmte Positionen, dann erfolgen Vertragsverhandlungen, wobei Clubs mit wohlhabenden Sponsoren wählerischer sein können. Aber ist damit der Erfolg gekauft? Nein, denn nun kommt die moderne Psychologie und Gruppendynamik ins Spiel und so kann es passieren, dass man zwar – wie in Straßburg – über ein relativ üppiges Budget verfügt, aber trotzdem verliert.

Immerhin liegen die Summen, um die es in Europa beim Basketball geht, noch weit unter denen beim überkandidelten Fußball. Aber man kann sich eben auch mit etwas weniger Geld und Aufwand schon in die Abgründe des Sports und des Profitums begeben, zumal – wie gesagt – der Basketball unsere globalisierte Welt des modernen Leistungsnomandentums, dessen Loyalitäten sich in Vertragslaufzeiten bemessen lassen, geradezu als perfektes Abbild widerspiegelt.

Also auf in die Rhenushalle, die gute alte, und Teil werden dieser neuen Welt. Zumindest für diesen einen Abend, geht es doch um den Gruppensieg in der Champions League gegen den Vertreter aus Spanien. Im Hinspiel haben die Spieler von SIG nur knapp mit zwei Punkten Abstand gegen jene aus Murcia verloren. Sollte nun vor heimischer Kulisse ein nur um ein Pünktchen höherer Sieg herausspringen, ist der Gruppensieg und damit die nächste Runde im europäischen Wettbewerb gesichert. Für Spannung ist gesorgt, für guten Sport auch – und die große Frage, ob diese neue Welt, der der Basketball doch so bestens repräsentiert, auch eine bessere ist, sei an diesem einen Abend einmal kurz beiseite gelegt, aber klar: aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

SIG Strasbourg – Murcia BCL
Vorletztes Gruppenspiel in der Basketball Champions League
MI, 7. Dezember, 20 Uhr
Rhenushall – Stadtteil Wacken

Tickets und Infos unter: www.sigstrasbourg.fr

Weitere Heimspiele in der französischen Liga im Dezember und Januar:

SO, 18. Dezember, 13.45 Uhr: SIG – Asvel Lyon
MO, 26. Dezember, 20 Uhr: SIG – Boulogne-Levallois
SA, 7. Januar, 20 Uhr: SIG – Roanne
SA, 21. Januar, 20 Uhr: SIG – Le Mans
SO, 29. Januar, 15.15 Uhr: SIG – Bourg-en-Bresse

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste