Skandinavien igelt sich ein

Schweden und Dänemark haben an ihren Grenzen wieder Personenkontrollen eingeführt. Europa schafft sich Stück für Stück selber ab.

Schön ist es in Skandinavien. Aber Flüchtlingen will man jetzt die Tür vor der Nase zusperren. Foto: Laszlo Ilyes, Cleveland, USA / Wikimedia Commons / CC-SA 2.0

(KL) – Es geht für die meisten europäischen Länder momentan nur noch um eines – die weitere Ankunft von Flüchtlingen zu verhindern. Mit dieser Perspektive haben nun Dänemark und Schweden wieder Grenzkontrollen eingeführt, auch, wenn die Situation zwischen beiden Ländern sehr unterschiedlich ist. Während Schweden das europäische Land mit der höchsten Flüchtlingsquote pro Einwohner ist, regieren in Dänemark die Neonationalisten, für die, ähnlich wie in verschiedenen osteuropäischen Ländern, das Wort „Solidarität“ nicht im Sprachgebrauch vorkommt.

Dass die Flüchtlingsthematik nach einer europäischen Lösung verlangt, die mehr bieten muss als die Option, syrische Flüchtlinge in der Türkei in eine Art Konzentrationslager sperren zu lassen, scheint sich in der Europäischen Union noch nicht herumgesprochen zu haben. Die Tschechen schwadronieren von einer „organisierten Invasion“, die Ungarn, Slowaken und Polen hetzen gegen Flüchtlinge und andere Staaten meinen, die Flüchtlingsströme durch flächendeckende Bombardements Syriens eindämmen zu können. Gegen die mit einer Mehrheit (und nicht einstimmig) getroffene Entscheidung der EU, 160.000 Flüchtlinge (also einen Bruchteil der tatsächlich ankommenden Flüchtlinge) auf die EU-Mitgliedsstaaten zu verteilen, hat die Slowakei Klage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht (weil man die Aufnahme von 802 Flüchtlingen für eine Zumutung hält). Von einer europäischen Position zu der Frage sind wir meilenweit entfernt.

Die Zeiten des Schengen-Raums scheinen vorbei zu sein, überall werden die längst eingemotteten Grenzzäune wieder hochgezogen. Jeden Tag entfernen wir uns ein wenig weiter von den „europäischen Idealen“, die in weiten Teilen Europas nicht mehr als „Ideale“, sondern als unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten ausgelegt werden. Doch stehen damit alle zusammen vor einer echten Herausforderung. Während die betroffenen Länder zu überprüfen haben, ob sie überhaupt noch im „Club Europa“ mitmachen wollen (was in den Ländern Osteuropas, die kräftig aus Brüssel subventioniert werden) wohl keine Frage ist, muss die EU sich überlegen, ob sie diese Länder überhaupt noch in ihrer Organisation haben möchte. Denn als Bündnis, das auf gemeinsamen Werten basiert, hat Europa 2016 ausgedient.

Da nützt es auch nichts, wenn sich das institutionalisierte Europa von Gipfel zu Gipfel hangelt, in der Hoffnung, ein Wunder möge geschehen und Einigkeit ins Haus Europa einziehen – 2016 brauchen wir die „Europäischen Generalstände“, die zu definieren haben, was Europa überhaupt sein soll. Denn als reine Wirtschaftszone, als Erfüllungsgehilfe der Finanzmärkte, brauchen die Menschen Europa eigentlich nicht. Wenn das Leitmotiv Europas „nationale Politik“ und nicht mehr „europäische Ausrichtung“ ist, wenn die europäischen Institutionen zu reinen Zahlmeistern für die Nettoempfänger in der EU werden, dann braucht dieses Europa niemand mehr. Dann allerdings sind wir auf dem Weg zurück in die europäische Kleinstaaterei, von der man eigentlich wissen sollte, dass sie ein gescheitertes Modell ist. Das in der Vergangenheit den europäischen Kontinent nicht etwa befriedet, sondern von einem mörderischen Krieg in den nächsten gestürzt hat. Wenn der Preis für die Verhinderung einer solchen Rückkehr ins Mittelalter ist, dass man einige Länder aus der EU werfen muss, dann ist das immer noch der geringere Schaden, als einfach zuzuschauen, wie Europa faktisch immer weiter auseinander bröckelt. 2016 wird das Jahr sein, an dem man um grundsätzliche Sinnfragen zum Thema Europa nicht mehr herumkommen wird.

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