Straßburg steht gegen den Antisemitismus auf

Zehntausende Menschen haben am Sonntag in ganz Frankreich gegen den Antisemitismus protestiert. Auslöser war ein Gerichtsurteil, das niemand versteht.

Diesen Aufschrei versteht man wohl in jeder Sprache... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Weit mehr als 1000 Menschen demonstrierten am Sonntag in Straßburg vor der Synagoge, ebenso wie Zehntausende Menschen in ganz Frankreich. Auslöser für diese Proteste gegen den Antisemitismus in der Gesellschaft war ein nur schwer nachvollziehbares Urteil gegen einen Mörder, der eine betagte Jüdin in Paris brutal misshandelt und dann vom Balkon geworfen hatte. Das Gericht bescheinigte dem Täter Unzurechnungsfähigkeit, da er zuvor Cannabis konsumiert hatte und, laut Urteil, „einen Deliriumsanfall“ hatte. Statt ins Gefängnis schickte das Gericht den Täter in die Psychiatrie. Ein Freifahrschein für antisemitische Mordtaten?

Jüdische Mitbürger sind in unseren Ländern immer schon verfolgt worden, wie Stadtrat Thierry Roos in seiner bewegenden Ansprache sagte – auf dem Place de la République, nur wenige Meter von der Synagoge entfernt, wurden im Mittelalter 2000 Juden verbrannt, da man ihnen die Verantwortung für die Pest andichtete. Seitdem ist es nie ruhig geworden und antisemitische Zwischenfälle sind derart häufig, dass jedes Jahr Tausende französische Juden auswandern, zumeist nach Israel, da sie sich in Frankreich nicht mehr sicher fühlen; ein Phänomen, das man leider auch in Deutschland beobachtet.

Die jüdischen Gemeinden fühlen sich von der Justiz verlassen und das kann man angesichts des aktuellen Falls nachvollziehen. Amok laufende Cannabis-Konsumenten gibt es vielleicht in älteren Lehrbüchern, in der Praxis kommen sie nicht vor. Dazu gab es bereits im Vorfeld antisemitisch motivierte Aggressionen gegen die alte Dame und der Täter ging nicht etwa „wie im Delirium“ vor, sondern extrem kaltblütig.

Die Demonstrationen waren würdig und gleichzeitig selbstbewusst. „Wir sind nicht hier, um nur zu trauern, sondern um laut und deutlich ‘Schluss mit dem Antisemitismus’ zu rufen“, sagte Thierry Roos. Abgesehen davon, dass die Zehntausenden Demonstranten in ganz Frankreich zeigten, dass man sehr wohl auch unter Corona-Bedingungen demonstrieren kann, war es erfreulich, wie stark die Mobilisation für diese Demonstration war, nicht nur in den jüdischen Gemeinden. Die denkenden Kräfte der Gesellschaft arbeiten weiter für das Miteinander in der Gesellschaft, während die anderen Hass schüren und die Gesellschaft spalten.

Ebenso erfreulich war, dass keiner der anwesenden Lokalpolitiker das Wort erteilt bekam, so dass ein „politisches Ausschlachten“ dieses fürchterlichen Anlasses gar nicht erst versucht werden konnte.

Unsere Gesellschaften, die bereits vor der Pandemie tief gespalten waren, müssen sehr aufpassen, dass sie nicht den Hasspredigern, den Relativierern und den Extremisten in die Hände fallen. Wir leben in Zeiten, in denen es noch wichtiger als je zuvor ist, dass wir zusammen stehen und „Nein!“ zu allen Versuchen sagen, die unser Zusammenleben irgendwann unmöglich machen können. Am Sonntag stand Frankreich zusammen, so wie die vielen Menschen in Straßburg, und taten genau das. Sie sagten „Nein!“ zum Antisemitismus. Nun muss man hoffen, dass dieser Aufschrei auch gehört wird.

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