Unkultur: Deutschland braucht sein Dschungelcamp

7,5 Millionen Zuschauer sind fasziniert davon, wenn völlig unbekannte „Promis“ Würmer und Maden verschlucken und sich im Dschungel selbst inszenieren.

Würden alle Zuschauer des "Dschungelcamp" die gleiche Partei wählen, würden sie die Regierung stellen. Beunruhigend. Foto: YanCoasterman / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(WB) – Doch, den einen dort habe ich schon einmal gesehen. Bei irgendeinem unbedeutenden TV-Quiz. Oder einer Werbesendung. Egal. Ich kenne keinen der so genannten „Promis“ im RTL-Dschungelcamp. Ist das schlimm? Immerhin – siebeneinhalb Millionen Deutsche scheinen diese Menschen ja doch zu kennen, ganz intim, mit Vornamen. Denn so viele Menschen schalten allabendlich den wohl größten Murks ein, mit dem man seine Freizeit verbringen kann.

Es ist wohl wie bei einem Autounfall. Eigentlich möchte man gar nicht hinsehen, denn was bitteschön soll interessant daran sein, wenn wildfremde Menschen an Känguruhoden knabbern oder die Hand in Ameisenhaufen stecken? Und trotzdem schauen die Menschen hin. Siebeneinhalbmillionen. Wie würde die Welt aussehen, wenn man diese Menschen dazu bekäme, sich für eine positive Entwicklung der Gesellschaft zu bewegen.

Wäre das „Dschungelcamp“ eine politische Partei, würde es die Bundeskanzlerin stellen. Das „Dschungelcamp“ ist damit die schweigende Mehrheit in Deutschland. Aber es ist nicht so richtig beruhigend, dass es so viel einfacher ist, Menschen zum Voyeurismus als zum Engagement für die Zukunft unserer Gesellschaft zu bewegen.

Selbst die überwältigenden Demonstrationen in Frankreich nach den Attentaten in Paris mobilisierten nur ungefähr die Hälfte der nächtlichen „Dschungelcamp“-Zuschauer. Das sollte uns nachdenklich stimmen. Sind die Befindlichkeiten dieser „Promis“ wirklich wichtiger als die Zukunft unserer Gesellschaft, die gerade in die Fänge extremistischer Volksverhetzer fällt? Und überhaupt – „Promis“… Wer sind diese Leute überhaupt?

Es scheint, als habe eine der weiblichen Teilnehmerinnen einmal in einer Quizshow die Assistentin gegeben, die sich der schwierigen Aufgabe stellte, irgendwelche Täfelchen umzudrehen. Wow. Eine Leistung. Da ist es natürlich jetzt ganz wichtig zu sehen, wie diese Dame mit dem Rest der seltsamen Gruppe interagiert. Oder so.

Sind wir nun das Volk der Dichter und Denker oder der schadenfrohen Voyeure? So schlecht kann es uns ja wohl noch nicht gehen, wenn es einfacher ist, siebeneinhalbmillionen Menschen für solch einen Schwachsinn zu begeistern, während man schon froh sein muss, wenn sich ein paar Tausend Menschen finden, um gegen Neonazis, Ausländerhasser und andere Brunnenvergifter zu demonstrieren.

Am Wochenende gingen in Freiburg ein paar Hundert Menschen für mehr Toleranz auf die Straße. Gleichzeitig saß die halbe Republik vor der Glotze und schaute zu, wie eine junge Dame (von der ich echt keine Ahnung habe, wer sie ist oder was sie zum „Promi“ macht) versuchte, zwischen allerlei Krabbelgetier gelbe Sterne einzusammeln. Beziehungsweise sich weigerte, das zu tun. Als sie dann den Satz sagte „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“, war für einen kurzen Moment die Kohäsion der deutschen Gesellschaft in Gefahr. Hat da jemand „Opium fürs Volk“ gesagt?

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