„Verhandeln“, um Zeit zu gewinnen

Das Gespräch im türkischen Antalya zwischen Sergej Lawrow und seinem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba dauert nicht lange. Und es brachte nicht viel.

Viel Neues für die "Verhandlungen" in Antalya hatte Sergej Lawrow nicht im Gepäck. Foto: mid.ru / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Von allen bisherigen „Verhandlungsrunden“ war diejenige in Antalya die kürzeste. Natürlich ist es in der Diplomatie immer besser, wenn man im Gespräch bleibt, doch was sind das für Gespräche? Die russische Seite wiederholt bei diesen Treffen ihre (inzwischen leicht abgespeckten) Forderungen, die ukrainische Seite will über humanitäre Korridore und Waffenstillstand sprechen. Doch ein Dialog ist das nicht. Nützen diese „Verhandlungen“ vor allem Wladimir Putin, damit dieser etwas Zeit für die Organisation seiner nächsten Offensive gewinnt?

Allerdings hat sich bei der Liste der russischen Forderungen ein wenig verändert. So traut man sich nicht einmal mehr in Moskau von der „Entnazifizierung“ der ukrainischen Regierung zu sprechen, was angesichts der Nazi-Methoden Russlands auch sehr abstrus klang, doch die Hauptforderungen stehen immer noch: Die Ukraine soll militärisch kapitulieren („die Waffen niederlegen“), das Land soll sich in seiner Verfassung für „neutral“ erklären und dazu soll die Krim endgültig als russisches Territorium und die beiden „Volksrepubliken“ im Donbass sollen als „unabhängig“, sprich: russische Satelliten, anerkannt werden.

Diese Entwicklung in der russischen Verhandlungsführung öffnet eventuell eine Möglichkeit zu „echten“ Verhandlungen. Präsident Selenskyi hat inzwischen verstanden, dass sein Land weder zügig EU-Mitglied und schon gar nicht NATO-Mitglied werden kann. Hierfür fehlt zumindest momentan der politische Wille im Westen und da kommt der Vorschlag der „Neutralität“, also der Blockfreiheit der Ukraine, vielleicht zum richtigen Zeitpunkt. Vorausgesetzt, dass diese Verhandlungen nicht nur dazu dienen, Putin ein wenig Zeit zur Organisation seiner bislang völlig chaotisch agierenden Truppen zu geben.

Angesichts der Tatsache, dass sich selbst während der Gespräche in Antalya nichts an der russischen Offensive auf die ukrainischen Großstädte ändert, die Rote Armee diese immer weiter einkesselt und inzwischen auch offenbar wieder vorrücken kann, liegen die Verhandlungsziele der russischen Regierung im Unklaren.

Klar ist, dass Putin von der Entwicklung der Situation überrascht wurde, da er offenbar damit rechnete, dass die Welt genauso reagiert wie 2014 nach der Annektierung der Krim. Vermutlich hatte Putin auch nicht mit einer derart entschlossenen Gegenwehr der Ukrainer gerechnet und auch nicht mit den inzwischen sehr harten Sanktionen, die in weniger als zwei Wochen die russische Wirtschaft auf Jahre hinaus beschädigt haben. Insofern kann es gut sein, dass Putin seinen Außenminister nur deshalb „verhandeln“ lässt, um die notwendige Zeit zu haben, seinen militärischen Masterplan zu verfeinern.

Zwei der drei russischen Forderungen sollten für die Ukraine wenigstens eine Gesprächsgrundlage darstellen. Sollte es zu einer Waffenruhe kommen, ist klar, dass beide Seiten ihre Waffen niederlegen müssen, also sowohl die Ukrainer als auch die Russen, das Ganze überwacht von Blauhelmen oder Vertretern der OECD. Auch die Frage der Neutralität, bzw. Blockfreiheit, sollte diskutiert werden können, angesichts des Umstands, dass eine Aufnahme in die westlichen Bündnisse unter diesem Druck wohl kaum zur Debatte steht.

Allerdings sind die Zweifel an der russischen Absicht tatsächlich zu verhandeln, leider angebracht. Bisherige Absprachen zur Einrichtung humanitärer Korridore wurden nicht eingehalten, nach glaubwürdigen Berichten des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) wurden solche Korridore zum Teil vermint und beschossen. Auch die völlig unübersichtliche Lage in den ukrainischen Atomkraftwerken gibt Anlass zu Sorge und nach wie vor ist nicht klar, was Putin eigentlich beabsichtigt. Dass seine Armee nicht in der Lage sein wird, die ganze Ukraine zu besetzen und vor allem, danach zu halten, zeigt sich jeden Tag. Was also ist der Plan von Wladimir Putin, dessen eigene Bevölkerung immer mehr unter den Sanktionen zu leiden hat und die sich immer mehr Fragen zu diesem Bruderkrieg und dessen Zielen stellt.

Nach wie vor ist die Situation völlig offen, die Absichten der Mächtigen sind unklar, über 2 Millionen Ukrainer haben inzwischen das Land verlassen und eine riesige Flüchtlingswelle ausgelöst, es wird gebombt, geflüchtet und gestorben. Es wäre an der Zeit, dass Putin etwas klarer ausdrückt, was er will, ohne dabei gebetsmühlenartig immer wieder die gleichen Forderungen zu stellen. Aber weiß Putin überhaupt selbst, was er mit der Büchse der Pandora anstellen will, die er geöffnet hat?

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