Von der moralischen Überlegenheit des Westens

Der Westen ist der „Champion der Moral“. Das allerdings hält den Westen nicht davon ab, seit 11 Jahren Julian Assange langsam in einem britischen Gefängnis zu Tode zu foltern.

Will der Westen seine Glaubwürdigkeit nicht vollends verlieren, muss Julian Assange sofort freigelassen werden. Foto: Alisdare Hickson / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Wir sind schon Helden, bei uns im Westen! Unsere politischen Institutionen verabschieden Gesetze, die angeblich „Whistleblower“ schützen sollen, mit denen die Pressefreiheit garantiert werden soll, mit denen die Demokratie angeblich geschützt wird. Doch was ist mit Julian Assange? Der australische WikiLeaks-Begründer, dessen „Verbrechen“ darin bestand, dass er die Weltöffentlichkeit über Kriegsverbrechen der US Army im Irak und in Afghanistan informierte, ist seit 2012 seiner Freiheit beraubt, musste einen von vorne bis hinten getürkten Prozess wegen einer angeblichen Vergewaltigung in Schweden über sich ergehen lassen (der nach 8 Jahren still und heimlich eingestellt wurde, da er jeglicher Grundlage entbehrte), er musste einen Prozess erdulden, der nicht im geringsten den Mindeststandards eines Rechtsstaats entsprach und er ist immer noch von der Auslieferung in die USA bedroht, wo ihn 175 Jahre Gefängnis erwarten. So lange Julian Assange im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh bei London sitzt und so lange alle europäischen Politiker, inklusive der europäischen Institutionen, einfach wegschauen und den Namen Assange nicht einmal in den Mund nehmen, so lange muss der Westen nicht von „Moral“ sprechen, denn um die „Moral“ des Westens ist es nicht viel besser bestellt als in den Ländern, auf die wir täglich mit dem Finger zeigen.

Die Vorstellung, dass Julian Assange an die USA ausgeliefert werden könnte, ist haarsträubend, nachdem sich während der Farce seines Prozesses herausstellte, dass die CIA nicht nur Entführungs-, sondern sogar Mordpläne gegen Assange schmiedete. Denn die Kriegsverbrechen der Amerikaner zu veröffentlichen, das passt im Westen einfach nicht. Kriegsverbrechen begehen die anderen, die „Schurkenstaaten“, aber doch nicht der Westen, der moralisch so hoch steht. Unter den gegebenen Umständen ist es ausgeschlossen, Julian Assange den Amerikanern auszuliefern, die zu gerne ein Exempel statuieren würden. Doch wenn man genau hinschaut, dann sieht man, dass die Briten schon längst dabei sind, dieses Exempel für die Amerikaner zu statuieren und sich dabei moralisch nicht besser anstellen, als diejenigen Länder, denen wir so gerne beibringen würden, wie „richtige“ Demokratie geht.

Besonders enttäuschend ist die Haltung des institutionellen Europas und der europäischen Regierungen. Weder die EU, noch Frankreich, noch Deutschland, haben je Druck auf die Briten ausgeübt, um die Freilassung Assanges zu erreichen. Im Gegenteil, als das mehr als möglich war, nämlich während der Brexit-Verhandlungen, bei denen man problemlos die Fortsetzung der Verhandlungen von der Freilassung Assanges hätte abhängig machen können, da schwieg ganz Europa. Doch wie soll man es bezeichnen, wenn sich die europäischen Regierungen zu Erfüllungsgehilfen eines Landes machen, das nachgewiesene Kriegsverbrechen begangen hat?

Insofern sind auch die tollen neuen europäischen Gesetze zum „Schutz von Whistleblowern“ nicht das Papier wert, auf dem sie stehen. Es handelt sich um reine politische Kommunikation, mit der so getan wird, als würden sich Europa und seine Mitgliedsstaaten um die Pressefreiheit kümmern. Doch das tun sie nicht. Die großen Medien sind fest in der Hand von Milliardären, von Banken, Versicherungen und Finanzfonds und deren Interesse ist alles andere als eine freie Presse. Folglich sehen auch die Europäer die langsame Hinrichtung Assanges eher positiv. Eine Warnung an alle, die zu viele Informationen finden und diese auch noch veröffentlichen.

Wann endlich kommen Sanktionen gegen Großbritannien? Wann endlich haben die europäischen Staatenlenker den Mut, das Thema Assange anzusprechen? Jede Wette, beim royalen Besuch von Charles III. in Versailles wurde über vieles gesprochen, aber sicher nicht über Julian Assange. Dafür fehlt es unseren Politikern dann doch an Mut und es ist deutlich einfacher, sich zum Komplizen amerikanischer Kriegsverbrechen zu machen, statt sich für die Verteidigung eines Journalisten einzusetzen, der gerade zu Tode gefoltert wird.

So lange Julian Assange langsam in seiner Zelle in Belmarsh stirbt, braucht kein europäischer Politiker auf Russland, China, den Iran und all die anderen Länder zu zeigen, in denen Journalisten gefährdet sind und in Gefängnissen sitzen. Der Tag, an dem Julian Assange in Belmarsh sterben wird, ist der Tag, an dem die so hoch gelobte europäische Demokratie ebenfalls sterben wird. Doch das nehmen die Schreibtischtäter in Brüssel, Berlin, Paris und den anderen Hauptstädten billigend in Kauf. Das zeigt, dass sie weder Mut, noch einen moralischen Kompass haben, sondern sich lediglich daran orientieren, was ihnen persönlich am wenigsten Ärger bringt. Es wird allerhöchste Zeit, dass wir unser Wahlverhalten ändern. Und das wird wahrscheinlich schon bei der Europawahl 2024 passieren, wenn diese profillosen Karriere-Politiker ihr nächstes, hoch dotiertes Mandat abgreifen wollen. Diesen Gefallen sollten wir diesen Menschen aber nicht mehr tun…

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