Wahlfiasko mit Ansage

In einer Woche findet in Frankreich der erste Wahlgang der Parlamentswahlen statt. Doch so richtig interessiert sich kaum noch jemand für diese Wahl. Pathetisch.

Und was ist, wenn nächsten Sonntag die Wahlkabinen leer bleiben? Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(KL) – Momentan gibt es in Frankreich zwei Arten von Menschen. Auf der einen Seite die rund 6.000 Kandidatinnen und Kandidaten für die anstehenden Parlamentswahlen, plus deren Familien, Freude und eine Handvoll unerschütterlicher Parteigänger und auf der anderen Seite die Franzosen. Für die 6.000 Kandidaten geht es um einiges – tolle Jobs, tolle Bezahlung, tolle Privilegien in den Pariser Palästen der Macht. Für die Franzosen geht es um kaum etwas. Das Gefühl „die machen ohnehin, was sie wollen“ hat sich fest in den Köpfen der Franzosen verankert und man rechnet mit einer Rekord-Enthaltung.

Nach wie vor zwängt man in Frankreich die Bevölkerung in eine neu-feudale Regierungsführung, in der ein Premierminister nicht viel mehr ist als eine Art „Pressesprecher+“ des omnipotenten Präsidenten, der über Land und Volk herrscht wie die französischen Könige im ausgehenden Mittelalter. Das Parlament wird konsultiert, wenn der Herrscher das gerade möchte, ansonsten regiert er am Parlament vorbei.

Mit Demokratie hat das alles nicht mehr viel zu tun. Emmanuel Macron, der 2017 mit dem Versprechen eines neuen Politikstils angetreten war, hat tatsächlich Wort gehalten – er hat Frankreich in einer Art parlamentarischer Monarchie verwandelt, was nicht unbedingt das war, was sich die Franzosen gewünscht hatten. Umgeben von einer Riege hochkarätiger Amateure, die permanent ausgewechselt werden müssen, entweder wegen erwiesener Unfähigkeit oder wegen einer schier endlosen Reihe von Skandalen und Skandälchen, regiert Macron in Frankreich alleine. Und wenn er mal ein wenig Gegenwind hat, dann regiert er eben mit Verfassungstricks, die dem Monarchen ermöglichen, eben am Parlament vorbei zu regieren.

Dass in Frankreich politisch gerade etwas nicht stimmmt, das merken sogar die 6.000 Kandidaten und Kandidatinnen, die fast alle ihre Parteizugehörigkeit verschweigen, dafür aber unter Fantasienamen antreten, die am Ende des Tages alle austauschbar sind. „Alle zusammen“, „Wir für euch“, „Eine bessere Welt ist möglich“, so und anders lauten die Slogans, unter denen die Kandidaten und Kandidatinnen antreten. Und alle achten peinlich genau darauf, dass auf ihren Wahlplakaten nicht der Name der Partei steht, in der sie normalerweise aktiv sind. Denn immerhin hat man in den Pariser Parteizentralen verstanden, dass heute kaum noch ein Franzose für eine Partei stimmt, nachdem die Parteien das Land in den letzten 40 Jahren in einen politischen Abgrund getrieben haben.

Selten haben die Franzosen deutlicher gemerkt, dass es nicht um sie, sondern die persönlichen Ambitionen der Kandidaten geht, als in diesem Wahlkampf, der tatsächlich fast unbemerkt verläuft. Gewiss, wer heute in Frankreich auf den Markt geht, wird von Kandidaten und Kandidatinnen mit Zahnpastareklame-Lächeln überfallen, die sich allerdings überwiegend darauf beschränken, dem Wahlvolk mitzuteilen, dass die Gegenkandidaten noch unfähiger sind als man selbst. Visionen oder gar Projekte für Frankreich hat kaum jemand.

Die interessanteste Frage für den kommenden Sonntag ist eigentlich nicht, wer sich in welchem der 577 Wahlkreise durchsetzt, sondern ob die Nichtwähler mehr oder weniger als 70 % der Wahlberechtigten ausmachen. Natürlich wirft das die Frage nach der Legitimität der Gewählten auf, doch denen ist das herzlich egal. Hauptsache gewählt, schon morgen fragt niemand mehr danach, wie man gewählt wurde.

Frankreich muss dringend sein politisches System reformieren. Wohin die Machtkonzentration auf den Präsidenten führt, hat man in den letzten 5 Jahren der „Macronie“ gesehen, in denen sich Frankreich auf den Weg zu einer Veränderung gemacht hat, an deren Ende das Land eine Art „Ungarn Westeuropas“ sein wird. Das nicht mehr zu übersehende Desinteresse der Franzosen für ihre Parlamente ist ein echtes Problem, denn irgendwann stimmen die Grundprinzipien der Demokratie nicht mehr.

In einer Demokratie ist die Idee, dass der Souverän das Volk ist. In Frankreich ist der Souverän allerdings die Geldclique des Präsidenten, der Souverän sind die Absolventen der Eliteschulen, die sich gegenseitig die Jobs zuschustern, der Souverän sind die großen Unternehmen, die der Politik deren Vorgehen diktieren. Das Volk hat letztlich nichts zu melden. Und die Menschen merken, dass ihr Wahlverhalten keinerlei Auswirkung darauf hat, was in Paris entschieden wird.

Während sich viele Länder der Welt nach so etwas wie Demokratie sehnen, schafft man in Frankreich die Demokratie ab. Der gesamte Politikbetrieb konzentriert sich auf Paris, auf Korruption und das Verteidigen der eigenen Interessen. Doch das ist gefährlich. Wenn Politik zum Selbstzweck der handelnden Akteure wird, stehen schwierige Zeiten ins Haus. Die, vor allem in Frankreich, in der Geschichte häufig un blutigen Umstürzen enden. Das könnte auch das Schicksal der V. Republik sein, deren Götterdämmerung schon längst begonnen hat.

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