Wann zahlt Deutschland?

Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags kommt zum Ergebnis, dass die deutsche Weigerung, Griechenland für die Schäden im II. Weltkrieg zu entschädigen, keineswegs rechtlich zwingend ist.

So, wie Deutschland im II. Weltkrieg in Griechenland gewütet hat, wären Reparationen eigentlich das Mindeste... Foto: Bundesarchiv / Bild 183-R99237 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Über dieses Thema schreiben wir seit Jahren – es geht um die Entschädigungen, die Griechenland von Deutschland für die im II. Weltkrieg verursachten Schäden verlangt. Laut des Gutachtens ist die Weigerung der Bundesrepublik, über solche Entschädigungen zu verhandeln, „völkerrechtlich vertretbar, aber keineswegs zwingend“. Die Ansprüche Griechenlands sollten jetzt geprüft werden, unter Einbeziehung aller Parameter. Also recht, Politik und Moral. Wenn man diese Maßstäbe ansetzt, dürfte sich Deutschland eigentlich nicht länger vor der Zahlung drücken.

Dass dieses Thema wieder auf die Tagesordnung kommt, liegt an zwei Dingen. Zum einen an einem Beschluss des griechischen Parlaments, das den damaligen Regierungschef Alexis Tsipras aufforderte, solche Entschädigungsforderungen an die Bundesrepublik zu stellen und zum anderen, an der deutschen Weigerung, das Thema überhaupt nur zu besprechen. In dieser Situation gab die Fraktion der DIE LINKE ein Gutachten beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags in Auftrag, das zum Ergebnis kommt, dass die deutsche Position zu dieser Frage ziemlich wackelig ist.

Es geht um Geld, um sehr viel Geld sogar. Ein weiteres Gutachten einer griechischen Expertenkommission kommt auf eine Schadenssumme von 290 Milliarden Euro, die sich aber wohl kaum realisieren lassen. Bei dieser Summe handelt es sich um alle Schäden und Folgeschäden, die von Nazideutschland in Griechenland angerichtet wurden. Viele dieser Schäden sind heute, mehr als 70 Jahre später, kaum noch nachzuvollziehen. Anders sieht es da schon bei dem „Zwangskredit“ aus, den die Nazis 1942 in Griechenland mitnahmen. Dieser „Zwangskredit“, der nichts anderes als das Vermögen der griechischen Staatsbank war, betrug rund 470 Millionen Reichsmark, ein Betrag, der von Experten heute auf einen Gegenwert von rund 11 Milliarden Euro taxiert wird.

Die Rechtslage ist kompliziert und die deutsche Position ziemlich schwach. Die Bundesregierung führt an, dass mit dem 2+4-Vertrag, der die deutsche Wiedervereinigung festlegte, alle Reparationsansprüche aus früheren Zeiten erledigt seien. Doch Tatsache ist, dass Griechenland weder an den 2+4-Verhandlungen beteiligt war, dass der 2+4-Vertrag gar nicht von Reparationen spricht und dass Griechenland nie einen Verzicht auf Reparationszahlungen erklärt hat. Dies unterscheidet die griechischen Forderungen auch von denen, an denen gerade die PiS in Polen arbeitet – denn Polen hat 1953 und noch einmal 1970 explizit auf weitere Entschädigungen verzichtet.

Die Frage ist delikat und muss unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden. Das (Rechts-)-Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags hat die Frage unter juristischen Gesichtspunkten erörtert und kam zu dem erwähnten Ergebnis. Doch es gibt auch eine moralische Dimension dieser Frage: Es kann eigentlich nicht sein, dass Deutschland als einziger Verursacher des II. Weltkriegs und der damit verbundenen Gräuel nach dem Krieg aus geopolitischen Erwägungen heraus zur „Wirtschaftswunder-Nation“ aufgepäppelt wurde, während die von den Nazis verwüsteten Länder leer ausgingen.

Dazu kommt auch eine europäische Dimension der Frage – Griechenland braucht heute dringender als je zuvor Unterstützung und Solidarität. Dass 70 Jahre nach dem II. Weltkrieg nicht die ganze griechische Misere Deutschland angelastet werden kann, ist klar. Doch trägt Deutschland eine große Verantwortung dafür, dass Länder wie Griechenland nach dem Krieg nur schwer wieder auf die Füße kamen. Das Deutschland von 2019 kann nicht einfach seine historische Verantwortung für Nazideutschland zurückweisen, mit dem Hinweis, das seien ja ganz andere Menschen gewesen, die diese Gräuel zu verantworten haben. Deutschland ist, ob man das nun will oder nicht, der Nachfolger von Nazideutschland (ebenso, wie Deutschland heute der Nachfolger des Kaiserreichs oder der DDR ist) und man kann diese historische Verantwortung nicht einfach ablehnen.

Korrekt wäre es, würde Deutschland mit Griechenland in einer ersten Phase Verhandlungen über die Rückzahlung dieses „Zwangskredits“ aufnehmen, denn der Diebstahl des griechischen Nationalschatzes verhinderte nach dem Krieg, dass das Land schneller wieder aufgebaut werden konnte. Wenn zu dieser Frage eine Einigung erzielt werden könnte, wäre das ein enormer Schritt. Mit dem Deutschland auch den Nachweis bringen könnte, dass es dem Land mit der europäischen Idee ernst ist.

Solange diese Frage nicht geklärt ist, kann man den II. Weltkrieg leider immer noch nicht als abgeschlossen betrachten. Und wenn bereits der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags zu dem Ergebnis kommt, dass die deutsche Weigerung über dieses Thema zu sprechen, ziemlich wackelig ist, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, solche Gespräche aufzunehmen. Damit, 74 später, den Griechen dann doch noch so etwas wie Gerechtigkeit widerfährt.

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