Was genau soll eigentlich die Europäische Union sein?

Der diplomatische Eklat zwischen der Tschechischen Republik und den USA zeigt, dass es in Europa keine gemeinsame Linie gibt. Egal, worum es geht.

"Wir dürfen leider nicht hinein" - der US-Botschafter in Tschechien hat ab sofort Hausverbot auf der Prager Burg. Foto: Daniel Görtz / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.5

(KL) – Der Zwischenfall wäre in anderen Zeiten vermutlich kaum aufgefallen. Doch in der aktuell angespannten Weltlage erregt der Ärger zwischen Prag und Washington Aufmerksamkeit. Und zeigt einmal mehr, dass es so etwas wie ein geeintes Europa gar nicht gibt. Vielleicht wäre es an der Zeit, einmal eine Sinnfragen- und Orientierungsdebatte um Europa zu führen. Bevor sich die EU von alleine auflöst.

Auslöser des Ärgers war das, was Tschechiens Präsident Milos Zeman verständlicherweise als Einmischung in die inneren Angelegenheiten seines Landes betrachtet. Er will nämlich, anders als Merkel, Hollande und Cameron, am 9. Mai nach Moskau reisen, um bei der 70-Jahr-Parade zur Feier des Sieges über Nazi-Deutschland dabei zu sein. Die westlichen Regierungschefs werden diesen Termin boykottieren (was offenbar leichter fällt, als die unsäglichen Sportveranstaltungen in Sotchi und anderswo mit Abwesenheit zu beehren), doch für Zeman ist dies eine Art Pflichttermin. Auch, wenn sich der tschechische Präsident in seiner Begründung etwas im Ton vergriff („Meine Reise ist Ausdruck der Dankbarkeit dafür, dass wir in unserem Land heute kein Deutsch sprechen müssen“), so war die vom amerikanischen Botschafter geäußerte Kritik an der Reise Zemans völlig deplatziert. Andrew Schapiro hatte die Teilnahme Zemans an den Feierlichkeiten in Russland als „ziemlich heikel“ bezeichnet und damit indirekt von Zemans Reise abgeraten.

Daraufhin erhielt Schapiro vom tschechischen Präsidenten eine Art Hausverbot für die Prager Burg, den tschechischen Präsidentensitz. „Ich lasse mit von keinem Botschafter in meine Auslandsreisepläne hinein reden“, sagte Zeman und das kann man gut verstehen – man stelle sich nur einmal vor, der tschechische Botschafter in Washington würde Barack Obama von einer geplanten Auslandsreise abraten.

Auch, wenn dieser Zwischenfall eigentlich nur die Tschechische Republik und die USA etwas angeht, so zeigt sich einmal mehr, wie brüchig und zum Teil sinnentleert das heutige Europa geworden ist. Nicht einmal in einer so zentral wichtigen Frage wie dem transatlantischen Verhältnis herrscht Einigkeit – während sich Westeuropa immer wieder vor dem großen amerikanischen Bruder verneigt, in antizipierendem Gehorsam das Asyl für Edward Snowden ablehnt und die US-Geheimdienstaktivitäten in Europa duldet, um ja nicht den großen Partner zu vergrätzen, steht man in Prag den Amerikanern deutlich selbstbewusster gegenüber.

Doch wie soll es weitergehen mit Europa? Müssen wir 500 Millionen Bürgerinnen und Bürger nun unsere Hoffnungen auf die tschechische Regierung konzentrieren, damit diese Projekte wie das Freihandelsabkommen TTIP verhindert, wenn unsere eigenen Regierungen offenbar blind genug sind, den USA die europäische Wirtschaft und sogar Gesetzgebung zum Nulltarif und ohne Not auf dem Silberteller zu präsentieren?

Die Einheit Europas besteht nur noch auf dem Papier und sie funktioniert seltsamerweise nur noch da, wo es darum geht, den Finanzmärkten Staubzucker in den Hintern zu blasen. In allen anderen Bereichen, ob Soziales, Sicherheit, Außenpolitik, Flüchtlingsfragen – versagt die EU auf ganzer Linie. Genau dieses Versagen ist es, das einem Wladimir Putin ermöglicht, seine aggressive Expansionspolitik in Zentraleuropa zu führen – er weiß genau, dass er keinerlei europäische Reaktion zu erwarten hat. Die verhängten Sanktionen dürften in Moskau eher Heiterkeit auslösen – denn mit dem neuen BRICS-Konstrukt in der Hinterhand braucht Russland Europa zukünftig nicht. Was umgekehrt nicht ganz der Fall ist.

Angesichts des Versagens der europäischen Institutionen sollte sich allerdings niemand mehr wundern, dass sich die Bürgerinnen und Bürger Europas massenhaft von diesen Institutionen abwenden. Nicht, weil sie schlechte Europäer sind, sondern weil das Europa, das man uns gerade vorsetzt, in keiner Form mehr den Bedürfnissen der Menschen in Europa entspricht. Aber das werden die europäischen Granden erst dann zur Kenntnis nehmen, wenn es längst zu spät sein wird.

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