Was Sie immer schon über Seife wissen sollten

Der Kreuzgang der altehrwürdigen Klosterkirche St. Pierre Le Jeune wird den ganzen Sommer über eingeseift – natürlich nur im übertragenden Sinne: eine Ausstellung in Straßburg mit Kunstwerken, die von Seifenresten inspiriert worden sind.

Selbst aus Seifenresten lassen sich zauberhafte Kunstwerke erstellen... Foto: www.vanessalenzi.com

(Michael Magercord) – Seife ist so alt wie die Zivilisation des Menschen. Vermutlich war die Seife sogar eine Grundbedingung für ihre Entstehung und ihren Fortbestand. Die Sumerer schon verfügten über eine Rezeptur: Pflanzenasche mit Öl vermengen. Diese erste Form der Seife diente der Wundbehandlung, sie verhinderte Wundkrankheiten, und dass bloßes Händewaschen mit Seife einem Virus trotzen kann, haben wir ja erst wieder vor wenigen Jahren erfahren dürfen. Die ersten Seifen ließen Menschen länger leben, lang genug, um schließlich auf den Erfahrungen der Generationen ihre ersten, bis heute überlieferten Kulturen entstehen zu lassen.

Die alten Ägypter und Griechen nutzten Seifen weiterhin als medizinisches Mittel, die Römer entdeckten schließlich ihre reinigende Wirkung und machten Seife zum Alltagsgegenstand. Seither wurde Seife in vielen Formen überall verwendet, ob in edlen Badehäusern oder unter Bauern, die aus dem Gel ausgekochter Knochen ihre eigene Seife herstellen konnten. Ausgerechnet im Mittelalter nach dem Ausbruch der Pest stellten die Menschen das Waschen ein. Direkter Kontakt von Wasser mit dem Körper galt Ärzten als Übertragungsweg für den Erreger. Es dauerte dann gut zweihundert Jahre, bis Seife wieder in Mode kam. Unter Ludwig XIV. wurde der Beruf des Seifensieders schließlich hoffähig, ein Reinheitsgebot wurde erlassen, ihre Herstellung verfeinerte sich zunehmend und die Verwendung von mehr oder weniger exquisiten Seifenstückchen wurde seither Teil unseres Alltags.

Und jeder, der heute nicht die schnöden Seifenspender aus Plastik verwendet, kennt das Problem mit den Seifenresten. Die Seife hat ihren Dienst für die Sauberkeit durch ihre Auflösung schon fast erledigt, da bleibt ein allzu kleines Stückchen zurück. Was tun? Früher gab es Netze, in denen die Reste zu einem neuen Ganzen werden sollten, auf dass sie ihren Reinigungsauftrag bis zum bitteren Ende erfüllen können. Man kann sie aber auch auf ein neues Stück kneten, so dass sie in dieser Symbiose mit dem Größeren ihrer völligen Auflösung zugeführt werden. Oder aber man… nun ja, sicher haben alle ihren eigenen Umgang mit den Resten, denn letztlich erlebt beim Händewaschen ein Jeder auf seine Art die alltägliche Begegnung mit der Vergänglichkeit der Dinge.

Im spätgotischen Kreuzgang der Kirche St. Pierre Le Jeune in Straßburg lässt sich nun den ganzen Sommer über die Begegnung mit den Seifenresten vollziehen, wenn sie sich nicht mehr auflösen und zu Kunst geworden sind. Unter dem Titel „Que savons-nous?“ – „Was wissen wir?“ – werden Seifen – savons – ausgestellt, beziehungsweise was von ihnen noch übrig ist, wenn sie ihren Dienst getan zu haben scheinen. Hinter dem Wortspiel der Frage, die auch Immanuel Kant nicht hätte grundsätzlicher formulieren können, steht nämlich eine poetische Philosophie: „Die Seifen verschwinden in unseren Händen, formen flüchtige Formen der relativen Reinheit – solange säubern bis eine perfekte Leere erreicht wird“.

Oder eben die perfekte Form, was schließlich die Aufgabe der Kunst ist: Seifereste in Aquarell auf Rollbilder geordnet, aufgelöst auf Fotos von Seifenschalen oder in Tücher mit dem Namen des Letztbenutzers gewickelt sind im Kreuzgang der Kirche zu einer Installation zusammengefügt – gerade noch rechtzeitig vor ihrer Auflösung zur perfekten Leere, in der es nicht einmal mehr die Kunst gäbe.

Verantwortlich für dieses Erlebnis zeichnet sich Vanessa Lenzi. Die Straßburgerin mit schwäbischen Wurzeln hat uns schon das ein oder andere Mal die Gelegenheit gegeben, an ihrer künstlerischen Sensibilität teilhaben zu lassen. Unvergessen ihr „Erinnerungsspiel“, ein Memory um die Wahrnehmung der deutschen Vergangenheit der Nachkriegsgenerationen, das im Straßburger „Syndicat Potentiel“ und in Karlsruhe bei der Stiftung Centre Culturelle Franco-Allemande zu sehen war.

Ihr Ausgangspunkt für diese Ausstellung in der Kirche St. Pierre Le Jeune war ein Blick in die Seifenschale ihrer Mutter. Die sehr persönlichen Seifenreste sorgten für eine erste Inspiration, es folgte die Bitte an Freunde und Bekannte um Überbleibsel aus Küche und Badezimmer. Sie drang sogar bis südindische Bangalore, wo ein Künstlerfreund ebenfalls Seifenstückchen sammelt. Aber genauso intensiv wirkte der Ort der Präsentation auf die Künstlerin: der mittelalterliche Kreuzgang mit seiner inselartigen Atmosphäre inmitten der Straßburger Innenstadt. Das Zusammenspiel von beidem, der konkreten Fragilität und Zartheit eines nahezu aufgebrauchten und aufgelösten Alltagsgegenstands einerseits, und der in der Klosterkirche zum Ort gewordenen Geistigkeit andererseits, bietet nun den Besuchern den Raum zum eigenen Nachsinnen – nicht zuletzt über die Zivilisation der Menschen, an deren Anfang die Seife stand.

„Que savons-nous?“ – Kunst-Installation von Vanessa Lenzi
im Kreuzgang der Kirche St. Pierre Le Jeune
im Stadtzentrum von Straßburg

30. Juni bis 17.September täglich von 12 bis 18 Uhr
Eintritt frei

Vernissage am FR 30. Juni um 18:30 Uhr

Weitere Informationen über Ausstellung und Künstlerin finden sich HIER!

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste