Wenn der Staat als Feind betrachtet wird

Frankreich entfernt sich immer mehr von seiner Politikerkaste, die das Land gerade in einen autoritären Überwachungsstaat verwandelt. Jeder Funken entzündet inzwischen Orgien der Gewalt.

Das Ausmass des Schadens, den dieser Mann Frankreich zufügt, wird man erst in ein paar Jahren erkennen. Foto: Kremlin.ru / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Der Zwischenfall in Nanterre bei Paris, bei dem ein Polizist einen 17jährigen Kleinkriminellen am Steuer eines Fahrzeugs bei einem Fluchtversuch aus kürzester Entfernung durch einen Schuss tötete, hat erneut eine Welle der Gewalt ausgelöst. Straßenschlachten zwischen Menschen aus den Problemvierteln und der Polizei, brennende Bürgermeisterämter, Gewalt und Gegengewalt – der „Macronie“ entgleitet das Land mehr und mehr. Das allerdings hält Präsident Macron nicht davon ab, weiterhin durch das Land zu paradieren und sich selbst zu feiern.

Seit den Auseinandersetzungen rund um die Rentenreform, die Emmanuel Macron unter Aushebelung der demokratischen Instanzen mehr oder weniger freihändig durchgeboxt hat, nachdem vier Monate lang Millionen Menschen vergeblich gegen diese Reform protestiert hatten, ist das Vertrauen der Franzosen in ihren Staat nicht nur erschüttert, sondern zerstört. Der Staat wird heute als „Feind“ betrachtet, der nicht etwa für die Franzosen, sondern gegen sie arbeitet. Dabei ist zweitrangig, ob das tatsächlich stimmt, sondern es zählt vielmehr, dass die Franzosen so empfinden.

Der schlimme Zwischenfall in Nanterre zeigt, dass inzwischen bei jedem Zwischenfall ein Pulverfass explodiert und gleichzeitig merkt man, dass der Pariser Machtapparat das staatliche Gewaltmonopol so ausnutzt, wie man es ansonsten nur aus autoritären Staaten kennt. Ob Gewaltexzesse bei Demonstrationen oder wie nun bei einer Verkehrskontrolle, der französische Staat, unter Anleitung seiner Pariser Regierung, zeigt seiner Bevölkerung systematisch, dass er bereit ist, jede seiner Vorstellungen mit Gewalt durchzusetzen. Offenbar hat man in Paris vergessen, dass in einer Demokratie das Volk der oberste Souverän ist und nicht etwa ein autoritär herrschender Präsident, der sich nicht einmal mehr um die demokratischen Institutionen wie Parlament oder Senat schert. Die Vorstellung, dass bis zu den nächsten Wahlen noch vier Jahre „Maronie“ auf die Franzosen warten, lässt ein mulmiges Gefühl zurück, zumal in diese Zeit auch noch die Olympischen Spiele in Paris 2024 anstehen, zu denen Macron gerade einen totalen Überwachungsstaat einrichtet.

Ginge es „nur“ um diese vier Jahre, könnte man sich noch in Geduld üben, da sich Emmanuel Macron aufgrund der französische Verfassung nicht für ein drittes Mandat bewerben kann. Doch ist bereits heute klar, dass der nächste Präsident oder die nächste Präsidentin aus dem rechtsextremen Lager kommen wird und ein Arsenal an repressiven Instrumenten vorfinden wird, die in den Jahren der „Macronie“ das Land stark verändert haben. Diese Instrumente in der Hand einer rechtsextremen Regierung können Frankreich weiter verändern, bis von all dem, was dieses Land zu einem Vorbild für die Länder Europas gemacht hat, nicht mehr viel übrig ist.

Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Demokratie – all das wird nur noch so lange toleriert, wie es nicht die Geschäfte derjenigen Großunternehmen stört, die Macron an die Macht getragen und dort gehalten haben. Doch was passiert, wenn die „Macronie“ endlich vorbei ist?

Dass ausgerechnet das „Land der Erleuchtung“, der „Hort der Menschenrechte“, die „Wiege des Humanismus“ das Bett für einen höchst gefährlichen Rechtsextremismus bereitet, ist unglaublich. Wenn die Franzosen heute unter einer Regierung leiden, der Dinge wie „Demokratie“ egal sind, dann ist das schon schlimm. Doch schlimmer ist, dass die nächste Regierung mit den Instrumenten, die von der „Macronie“ geschaffen wurden, Frankreich in einer Art „Ungarn 2.0“ verwandeln kann und wird. Die Spätfolgen der „Macronie“ werden noch übler sein als die Situation heute. Aber ob die Franzosen bei der Europawahl 2024 das Ende der „Macronie“ einläuten, ist mehr als fraglich, denn die französische Opposition ist ebenso schwach wie die aktuelle Regierung, die nicht mehr zu überzeugen, sondern nur noch zu herrschen versucht. Als ob es momentan nicht schon genug Probleme gäbe.

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