Departementswahlen: Manuel Valls scheint etwas verstanden zu haben
Zum ersten Mal äußert sich ein führender französischer Politiker zur Gefahr eines bevorstehenden politischen Erdbebens. Frankreich droht dem Front National in die Hände zu fallen.
(KL) – Die Umfragen in Frankreich vor den bevorstehenden Departementswahlen sind eindeutig: Der rechtsextreme Front National wird überall bei mehr oder weniger 30 % der Stimmen gesehen, deutlich vor den traditionellen Parteien und Frankreich könnte bei diesen Departementswahlen am 22. und 29. März ein politisches Erdbeben erleben. Dieser Umstand scheint mittlerweile auch auf Regierungsebene angekommen zu sein – der französische Premierminister Manuel Falls (PS) warnte in einem Interview auf Europe 1 deutlich vor dieser Gefahr: „Ich habe Angst, dass mein Land am Front National zerschellt“, sagte er. Dazu, dass dies nicht passiert, trägt Valls allerdings nicht viel bei.
Im Gegenteil – „Genau darum geht es bei diesen Departementswahlen“, erklärte der Premierminister und machte damit wieder einmal das, was französische Politiker gerne vor Wahlen machen – sie etikettieren diese einfach um und wechseln das Thema der Wahlen. Was in der aktuellen Situation nachvollziehbar ist, denn die Franzosen werden zu den Urnen gerufen, ohne dass sie wissen, was genau sie da eigentlich wählen sollen. Denn die Zuständigkeiten der neuen „Departementsräte“ sind noch völlig unklar, da ebenso unklar ist, wie sich die Departementsverwaltungen von den Verwaltungen der neuen „Superregionen“ abgrenzen werden. Da also nicht klar ist, was für Positionen bei dieser Wahl besetzt werden sollen, deklariert sie Valls einfach zu einer Art „nationaler Testwahl“ um. Doch das könnte sich als Bumerang erweisen.
Dass sich Valls um sein Land und die rechtsextreme Gefahr sorgt, ist aller Ehren wert. Doch warum konnte diese Wahl nicht so lange verschoben werden, bis klar ist, welche Aufgaben, Zuständigkeiten und Budgets ein Departementsrat haben wird? Bis geklärt ist, welche Aufgaben die neuen „Superregionen“ tatsächlich übernehmen? Der aktuelle Wahltermin verstärkt nur das Gefühl der Franzosen, dass dort eine Gebietsreform durchgeboxt wurde, der nach wie vor eine klare Linie fehlt.
Die Sorgen von Manuel Valls sind absolut berechtigt. Nach einem kurzen Stimmungshoch nach den Attentaten von Paris, nach denen sich die französische Nation kurz hinter ihren politischen Führern versammelte, ist der politische Alltag nach Frankreich zurückgekehrt. Die Regierung stürzt erneut in den Umfragen ab, der Front National von Marine Le Pen Prozentpunkt für Prozentpunkt in den Umfragen steigt. Valls gibt nun zum ersten Mal öffentlich zu, dass die Rechtsextremen sogar unterwegs sind, die Macht in Frankreich zu ergreifen. „Nicht 2022, nicht 2029, sondern 2017“, sagte der Premier.
Als ob sich die französische Regierung und Manuel Valls erst jetzt darüber klar würden, was es bedeutet, dass der Front National nicht nur im letzten Mai stärkste Partei in Frankreich bei den Europawahlen war, sondern auch jetzt wieder in allen Umfragen haushoch vorne liegt. Die Erkenntnis, dass Frankreich gerade einen besorgniserregenden Rechtsrutsch erlebt, kommt allerdings reichlich spät. Seit Jahren geben sich die traditionellen Parteien in Frankreich alle erdenkliche Mühe, die Rechtsextremen in die richtige Position zu bringen. Während sich die linke Regierung der PS vor allem durch nicht erfüllte Wahlversprechen auszeichnet und sich den Zorn großer Teile der Bevölkerung durch eine nicht ausgegorene, wenn auch in der Sache richtige Gebietsreform zugezogen hat, liefert die konservative UMP seit zwei Jahren ein jämmerliches Spektakel beim Kampf um die Führung der Partei und die Festlegung der Kandidaten für die nächste Wahl ab. Wobei sich die immer gleichen, ausgedienten „Silberrücken“ der Konservativen gegenseitig dabei überbieten, sich als „Hoffnungsträger“ zu präsentieren. Was zur Folge hat, dass der längst aussortierte frühere Präsident „Bling-Bling“ Sarkozy wieder die Pole Position bei der UMP ergattern konnte. All das treibt die Menschen in Scharen den Rechtsextremen zu, die sich als einzig gut strukturierte Alternative zu dem völlig verkrusteten Politikbetrieb Frankreichs anbieten.
Die Linke in Frankreich hingegen ist uneins. Ja, momentan ist nicht einmal klar erkennbar, wer im „linken Spektrum“ überhaupt „linke“ Politik betreibt. Der „republikanische Ruck“, den es in der französischen Gesellschaft in der Stichwahl zum Präsidentenamt 2002 gab, als fast ganz Frankreich Jacques Chirac gegen den „zufällig“ in die Stichwahl geratenen Jean-Marie Le Pen gewann, wird es momentan nicht mehr geben. Den erwartet Manuel Valls vergeblich von den Franzosen. Einen solchen Ruck hätten die traditionellen Parteien selbst organisieren müssen, doch hierzu ließen sie jede Gelegenheit ungenutzt verstreichen. Zum Beispiel bei der kürzlich erfolgten Nachwahl im Departement Doubs, als sich die UMP in der Stichwahl zwischen einem PS-Kandidaten und der nach dem ersten Wahlgang führenden Kandidatin des Front National nicht durchringen konnte, eine Wahlempfehlung für den PS-Kandidaten auszusprechen.
Dass jetzt Manuel Valls die Franzosen auffordert, am 22. und 29. März wählen zu gehen, ehrt ihn. Doch er muss sich auch die Frage gefallen lassen, was er eigentlich selber tut, um den Franzosen eine echte Alternative zum Abdriften in rechtsextreme, fremdenfeindliche und von Hass geprägte Positionen zu bieten. Denn dieser extreme Rechtsruck kommt nicht aus dem heiteren Himmel.
Vielen Dank für die Bericherstattung.
Was Sie schreiben, bereitet mir Sorgen. Vor allem, dass die voraussichtliche Wahlbeteiligung sehr gering ausfallen wird. Vor dem Hintergrund der von Ihnen geschilderten unklaren Verhältnisse ist dies zwar nachvollziehbar. Doch: wählen zu gehen ist immer noch besser als es nicht zu tun. (Indirekt sind es die Nichtwähler/innen, die den Ausgang einer Wahl entscheiden). Geben Sie lieber Ihre eigene Stimme ab, als dies den anderen zu überlassen!
Absolut – die Stimmenthaltung und der “vote utile” sind die Feinde der Demokratie. Man wird am 22. und 29. März sehen, ob die Taktik von Manuel Valls, die FN-Chefin Marine Le Pen in den Mittelpunkt dieser eigentlich lokalen Wahl zu stellen, Früchte trägt. Die aktuellen Umfragen sehen voraus, dass diese Taktik genau zu dem befürchteten Ruck nach Rechtsaußen führen wird.