“Wenn wir gewinnen, bin ich Deutscher – wenn wir verlieren, bin ich Immigrant”

Der Rücktritt von Mesut Özil sollte zum Nachdenken anregen. So ungeschickt sein Foto mit Erdogan auch war, der neuerliche Ausbruch von Rassismus im Sport ist verstörend.

Mesut Özil und die Nationalmannschaft, das ist vorbei. Der latente Rassimus, der ist leider nicht vorbei. Foto: Agencia Brasil / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0br

(KL) – Mesut Özil wird kein Philosoph mehr werden, aber das muss er ja auch gar nicht – er ist Fußballer und nicht der Schlechtesten einer. Aus dem Wortschwall seiner Erklärungen am Wochenende (er hatte so viel mitzuteilen, dass er seine Statements gleich auf drei lange Veröffentlichungen aufteilen musste), ist ein einziger Satz bemerkenswert: „Wenn wir gewinnen, bin ich Deutscher; wenn wir verlieren, bin ich Immigrant“.

Warum Ilkay Gündogan und Mesut Özil kurz vor der WM in Russland mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan posieren mussten, kann man kaum nachvollziehen. Sind da zwei bekannte Fußballer in die Propagandafalle Erdogans getappt? Stehen die beiden tatsächlich hinter der menschenverachtenden Politik des türkischen Präsidenten? Das gemeinsame Foto der drei ist kein unglücklicher Zufall, sondern aktive Wahlkampfhilfe für einen Politiker, dessen „Werte“ in Deutschland nicht geteilt werden. Insofern ist diese Wahlkampfhilfe Özils und Gündogans mehr als deplatziert gewesen und Spitzensportler sollten mit solchen Situationen sensibler umgehen.

Dass, wie Mesut Özil schrieb, „zwei Herzen in seiner Brust schlagen“, ist nachvollziehbar und zeigt ein grundlegendes Problem von Einwanderern in der zweiten, dritten und inzwischen sogar vierten Generation auf: Sie sind nirgendwo „zuhause“. In Deutschland werden Immigranten eben „nur“ als Immigranten betrachtet, in ihren Ursprungsländern sind sie „die Deutschen“. Und so gehören sie eigentlich nirgendwo richtig dazu.

Dass nach der verkorksten WM ausgerechnet die DFB-Oberen nach Sündenböcken suchten und dabei Özil und Gündogan als Schuldige ausmachten, war billig und zeigte den tief sitzenden Rassismus auf, der in den Köpfen herrscht. Statt einfach einzuräumen, dass die Nationalmannschaft einfach schwach besetzt war, schwach spielte und demensprechend verdient ausscheiden musste, versteckten sich die DFB-Verantwortlichen hinter fadenscheinigen Ausreden. Die Mannschaft verlor gegen Mexiko und Südkorea nicht etwa, weil der eine oder andere Kicker die Nationalhymne nicht mitsang, sondern weil die Jungs einfach grottenschlecht spielten und die besten Kicker die WM daheim auf dem Sofa mitverfolgen mussten, während Spielern wie Mario Gomez in Russland ein letztes fußballerisches Gnadenbrot serviert wurde. Na und? Das ist Sport – mal gewinnt man, mal verliert man?

Die politischen Hetzreden der letzten Jahre durch AfD, CSU und Pegida trägt ihre Früchte. Aus der „Willkommenskultur“ haben die politischen Brunnenvergifter einen neuen Rassismus erschaffen, der tiefer in den Köpfen sitzt, als man das wahrhaben möchte.

Klar – die Fotoaktion von Özil und Gündogan war blödsinnig. Eigentlich sollten Spieler auf diesem Niveau Berater haben, die solche Aktionen verhindern. Doch die Reaktionen, die Mesut Özil zum Rücktritt aus der Nationalmannschaft veranlasst haben, sind widerlich und zeigen, wohin die Reise geht. Deutschland ist im Jahr 2018 wieder mitten drin im Gestrüpp aus Rassismus, Überheblichkeit und der Ablehnung von Minderheiten. Und dabei dachten wir immer, dass man Sport und Politik nicht vermischen sollte.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste