Zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt…

Vier Monate vor der Europawahl sieht sich das Europäische Parlament gezwungen, eine Entschließung gegen Spionage-Aktivitäten für Russland in den eigenen Reihen zu verabschieden.

Die lettische Europaabgeordnete Tatjana Zdanoka bezeichnet sich als "Agentin für den Frieden und gegen den Faschismus". Das sagt Putin auch von sich... Foto: Alma Pater / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Seit 20 Jahren sitzt die Lettin Tatjana Zdanoka im Europäischen Parlament und nun erhärtet sich der Verdacht, dass sie als Agentin für Russland unterwegs war und vielleicht auch noch ist. Grund genug für das Parlament, diesen Vorgang zu thematisieren und über einen entsprechenden Entschluss abzustimmen. Ähnlich wie im Fall Eva Kaili (deren Fall elegant unter den Teppich gekehrt wird) entdecken die Bürger erstaunt, dass die europäischen Institutionen in einem erschreckenden Zustand sind. So kurz vor der so wichtigen Europawahl ist dieser Vorgang Gift für die Motivation der Menschen, am 9. Juni wirklich wählen zu gehen.

Dabei sind es in all diesen Fällen nicht etwa die Institutionen selbst, die diese Skandale aufdecken, sondern das institutionelle Europa reagiert erst dann, wenn unabhängige Medien diese Skandale aufdecken. Im Fall der lettischen Abgeordneten Tatjana Zdanoka war es das in Lettland angesiedelte investigative Medium „The Insider“, das zu diesem Vorgang ermittelte und dabei so schlüssige Beweise vorlegte, dass sich Parlamentspräsidentin Roberta Metsola gezwungen sah, diesen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen.

Dabei hatte auch Tatjana Zdanoka Gelegenheit Stellung zu nehmen. „Ja, ich bin eine Agentin“, sagte die Lettin, „aber eine Agentin des Friedens und des Kampfs gegen den Faschismus“. Wladimir Putin hätte das nicht schöner formulieren können, und auf die konkrete Anschuldigung, dass sie seit 2005 mit dem russischen Geheimdienst FSB kooperiert, sagte sie nichts.

Die europäischen Institutionen stellen sich immer mehr wie eine „kriminelle Vereinigung“ dar, in der Korruption, Amtsmißbrauch und Spionage weitaus häufiger vorkommen, als man sich das vorstellt. So sagte Tatjana Zdanokas Landsfrau Sandra Kalniete, dass „sie [Zdanokas] nicht die einzige ist, die eine Politik der Einmischung in Straßburg und Brüssel betreibt“. Die Ansage ist klar – wir sehen bislang nur die Spitze des Eisbergs.

Doch wie will man Menschen motivieren, am 9. Juni für etwas anderes als Extremisten zu stimmen? Die sind zwar auch nicht besser, doch haben die traditionellen Parteien momentan außer Korruptions- und Spionage-Skandalen nicht viel anzubieten. Bei den Menschen setzt sich langsam der Gedanke fest, dass die europäischen Institutionen eine Art Selbstbedienungsladen für gewählte Volksvertreter sind und auch der Umstand, dass Abgeordnete, gegen die solche massiven Vorwürfe im Raum stehen, weiterhin im Parlament sitzen und dort ihre üppigen Diäten kassieren, macht Europa für die Wählerinnen und Wähler nicht sympathischer.

Die Europäische Kommission, die in sehr unübersichtlicher Art und Weise Milliarden verpulvert, das Europäische Parlament, das ebenfalls von einer Reihe von Skandalen erschüttert wird, der ständige Kampf mit Putin-Freund Viktor Orban, ein Europäischer Rat, der grundsätzlich hinter verschlossenen Türen tagt – die Europäische Union wäre gut beraten, würde sie endlich anfangen, diesen Sumpf der Institutionen zu reformieren. Denn ansonsten könnte es passieren, dass der EU die Europäerinnen und Europäer weglaufen.

Doch mit Reformen der eigenen Struktur hat man es in Brüssel und Straßburg nicht so sehr, denn diejenigen, die in der Lage wären Reformen durchzuführen, sind gleichzeitig auch diejenigen, die am meisten von diesem Sumpf profitieren und persönlich überhaupt kein Interesse daran haben, die EU und ihre Institutionen transparenter und weniger anfällig für diese Skandale zu machen.

Der wohl beste Kommentar zur Lage kam vom französischen Abgeordneten Raphaël Glucksmann. „Wenn wir nicht aus unserer Apathie herauskommen, werden wir wie einst die römischen Senatoren dem Zusammenbruch des europäischen Hauses beiwohnen“. Recht hat er. Und worauf warten die „europäischen Senatoren“, ihren Augias-Stall auszumisten?

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