Facharbeitermangel in der französischen Regierung

Zerbricht die „neue Welt“, die Präsident Emmanuel Macron bei seinem Amtsantritt versprochen hatte, an seinen schlechten Personalentscheidungen?

Angesichts der instabilen Regierungsmannschaft und der sozialen Unruhen wird der Blick von Emmanuel Macron immer sorgenvoller... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – So etwas hat Frankreich bisher nur während der Französischen Revolution erlebt. In den zweieinhalb Jahren seiner Amtszeit rollten nicht weniger als 16 Köpfe seiner Regierungsmannschaft und ein Ende ist nicht abzusehen. Wenn das so weitergeht, könnte die „Neue Welt“, die Macron in der französischen Politiklandschaft einrichten wollte, an sich selbst scheitern.

Nach dem Rücktritt des „Hochkommissars für das Rentenwesen“, des unter Gedächtnisschwund leidenden Jean-Paul Delevoye, sind es nun 16 Minister und Topmitglieder der Regierung, die entweder gehen mussten (12) oder das Regierungsschiff verließen (4) – was nicht gerade für eine stabile Regierung spricht. In nur zweieinhalb Jahren, in denen die neue Regierung am Ruder ist, hat sich die „Neue Welt“ als die „Alte Welt im Amateurmodus“ herausgestellt. Die Dynamik, die Emmanuel Macron zu Beginn seiner Amtszeit versprühte, ist einer massiven Ernüchterung gewichen und in dieser Zeit hat sich das Land in ein Pulverfass verwandelt, das sich jedes Wochenende und inzwischen auch unter der Woche immer wieder entzündet.

Freiwillig verließen drei Minister und ein Regierungssprecher die Regierung – Umweltminister Nicolas Hulot, der französische Umweltaktivist und Naturfilmemacher, der schon nach wenigen Monaten merkte, dass er seine ambitionierten Pläne innerhalb dieser Regierung nicht würde durchsetzen können und Innenminister Gérard Collomb, der sich lieber in die Lokalpolitik nach Lyon verabschiedete, sowie Regierungssprecher Bernard Griveaux, der im März für den OB-Sessel in Paris kandidieren will gingen, ohne zum Abdanken gezwungen worden zu sein. Dazu ging die allerseits kritisierte Europaministerin Nathalie Loiseau als Spitzenkandidatin der Regierungspartei LREM ins Europäische Parlament. Mit dem parteilosen Nicolas Hulot verlor die Regierung das Feigenblatt „Zivilgesellschaft“, mit dem früheren PS-Minister Gérard Collomb das Feigenblatt „wir sind offen für alle politischen Strömungen“.

Doch die Liste der Minister, die aus verschiedenen Gründen gehen mussten, ist beeindruckend: Der „Minister für den Zusammenhalt der Territorien“ Richard Ferrand (der als Trostpreis aber immerhin Präsident der Nationalversammlung wurde); Verteidigungsministerin Sylvie Goulard (die Macron dann auch nicht als EU-Kommissarin durchboxen konnte); Justizminister François Bayrou (dessen Satz „Welcher Politiker ist denn noch nie angeklagt worden?“ heute noch nachhallt); Europaministerin Marielle de Sarnez; Sportministerin Laura Flessel; Kulturministerin Françoise Nyssen; Landwirtschafts- und Ernährungsminister Stéphane Travert; der nächste „Minister für den Zusammenhalt der Territorien“ Jacques Mézard (dieses Portefeuille scheint ein echter Schleudersitz zu sein); die Staatssekretärin für Wirtschaft und Finanzen Delphine Gény-Stephann; der Staatssekretär für die Digitalisierung Mounir Mahjoubi (der auch für den OB-Posten in Paris kandidieren wollte, was dann aber auch nicht klappte); Umweltminister François De Rugy (der über Hummer und Champagnerflaschen stolperte) und eben jetzt der „Hochkommissar für das Rentenwesen Jean-Paul Delevoye (der „vergaß“, 13 Nebenjobs und damit verbundene Einkünfte anzugeben). Hui.

Da nützt es wenig, dass sich die verbleibenden Regierungsmitglieder und die „Neuen“, deren Namen selbst in Frankreich kaum jemand kennt, gegenseitig und den Ausscheidenden versichern, dass alle ganz anständige und prächtige Zeitgenossen sind. Im Gegenteil, die Misere der Regierung ist inzwischen kaum noch zu bemänteln.

Drei Monate vor den wichtigen Bürgermeisterwahlen, die als Zwischenbilanz-Wahl der Regierung betrachtet wird, dürfte den Kandidaten der Regierungspartei „La République en marche“ (LREM) der Angstschweiß von der Stirn perlen. Denn sie sind es, die am Ende nicht nur diese Auflösungserscheinungen der Regierung, sondern auch deren Unfähigkeit, den sozialen Frieden im Land wieder herzustellen und die zahlreichen arroganten Ausfälle des Präsidenten gegenüber seinen Landsleuten ausbaden müssen. Da die geplante Rentenreform, die bis zu den OB-Wahlen im März weiterhin für Dauerproteste und Streiks sorgen wird, auch nicht zur Zufriedenheit aller geregelt sein wird, dürfte manch Kandidat und manch Kandidatin der Regierungspartei LREM bereits heute bedauern, auf das falsche Pferd gesetzt zu haben. Viele Politiker und Politikerinnen hatten vor zweieinhalb bis drei Jahren ihre angestammten Parteien verlassen, um sich Macron und LREM anzuschließen, in der Hoffnung, Teil dieser „Neuen Welt“ zu werden, die der Präsident versprochen hatte. Ob sie dabei tatsächlich ins Gewinnerteam gewechselt sind, wird man im März sehen, doch wenn es so weitergeht wie bisher, sinken ihre Chancen immer weiter. Denn nach wie vor herrscht Facharbeitermangel in der französischen Regierung…

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