Wieso denken wir eigentlich immer, wir wären allein auf der Welt?

Die deutsche Politik dieses Jahres 2015 hat das Bild Deutschlands in Europa und der Welt ganz massiv getrübt. Die einzigen, die davon nichts mitbekommen, sind wir.

Es wird immer schwerer, dem Ausland klarzumachen, dass Deutschland nicht auf Merkel und Schäuble reduziert werden kann. Foto: Jürgen Brocke, Germany / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Während in Berlin die Figuren über das politische Schachbrett geschoben werden, das eine oder andere Bauernopfer gemacht und andere verhindert werden, während über allem die Kanzlerin in einer seltsamen Doppelrolle Dame/König schwebt, rutschen die Beliebtheitswerte Deutschlands weiter in den Keller. Schlimmer noch, im Ausland erinnert man sich an Episoden aus den letzten 100 Jahren, die wir in Deutschland schon längst mit dem Satz „lasst uns bloß mit den ollen Kamellen in Ruhe“ verdrängt haben und überall fragt man sich, ob es denn jetzt schon wieder so weit ist. Alle schauen besorgt auf Deutschland, doch irgendwie schaffen wir es, das nicht mitzubekommen. Dabei wäre das eigentlich ganz hilfreich.

Wir bekommen das allerdings ganz gut mit, denn die „Edition Eurojournalist(e)“ auf der großen französischen Internet-Zeitung „Mediapart.fr“ mit ihren spannenden Diskussionen mit der überwiegend französischen Leserschaft, gibt ein gutes Stimmungsbild darüber ab, wie man Deutschland zur Zeit sieht. Und das Bild, das wir mit Abhörskandalen, Angriffen auf die Pressearbeit, einer vernichtenden Politik gegenüber Griechenland, Neonazi-Angriffen auf Flüchtlingsheime und Asylbewerber international abgeben, na ja, so richtig klasse ist das nicht.

Gewiss, auch andere Länder haben ihr Päckchen zu tragen. Man denke nur an Ungarn mit seinem Regierungschef Victor Orbán, der offenbar noch nicht begriffen hat, dass wir im 21. Jahrhundert leben, oder auch an die skandinavischen Länder, in denen die Wählerinnen und Wähler nachträglich einem Anders Breivik eine Art Rechtfertigung liefern, doch kein Land bereitet den anderen europäischen Ländern so viel Sorgen wie Deutschland.

Da ist der aktuelle Skandal um das „Landesverrat-Verfahren“ gegen „netzpolitik.org“ eigentlich nur noch das Sahnehäubchen, das ein Bild abrundet, das sich in den letzten Monaten immer weiter verfestigt hat. Es wird immer schwerer, unseren Lesern in ganz Frankreich klarzumachen, dass man „Deutschland“ nicht auf Angela Merkel und Wolfgang Schäuble reduzieren kann, vor allem deshalb, weil die beiden durch die Umfragen galoppieren, als gäbe es gar keine politische Alternative mehr. Im Ausland nimmt man uns mittlerweile mehrheitlich als eine unberechenbare, arrogante Bande BILD-Leser wahr, die zu faul sind, genau hinzuschauen, was unsere Politiker eigentlich in unserem Namen anrichten, so, wie es bereits früher einmal war. Und Hand aufs Herz – ist diese Einschätzung wirklich so falsch?

Haben wir Deutschen, 70 Jahre nach dem Ende des II. Weltkriegs, den nur noch ein paar unserer Großeltern selber miterlebt haben, nicht wirklich die Schnauze voll, von den alten Nazi-Kamellen zu hören? Bis zu einem Punkt, an dem wir vergessen, wie vor 82 Jahren der Faschismus durch demokratische Wahlen in Deutschland Einzug halten konnte? Was meinen Sie, wie die Bilder von brennenden Asylbewerberheimen, von geifernden Pegida-Extremisten im Ausland wirken? Was meinen Sie, wie man es im Ausland aufnahm, dass der greise SS-Buchhalter von Auschwitz Oskar Gröning für seine „Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen“ mit vier Jahren Gefängnis davonkam, die noch nicht einmal rechtskräftig sind? Auch im Ausland hat man mitverfolgt, dass der Strafrahmen für „Beihilfe zum Mord“ in Deutschland 3 bis 15 Jahre beträgt – und bei 300.000 Opfern bewegt sich das Gericht im untersten Bereich des möglichen Strafrahmens? Haben die Deutschen sich und ihren Vorfahren tatsächlich alles verziehen?

Was meinen Sie, wie man es im Ausland findet, dass im NSU-Prozess offenbar wird, dass der Verfassungsschutz ganz offenbar weniger die Verfassung, als rechtsextreme Terroristen geschützt hat? Dass ganze Staatsapparate inzwischen im illegalen Bereich tätig sind, europäische Partner für Drittmächte bespitzeln und sich dafür noch nicht einmal entschuldigen? Meinen Sie, dass uns das im Ausland so richtig sympathisch erscheinen lässt?

Na klar, wenn Sie diesen Sommer im europäischen Ausland einen Kaffee bestellt haben, dann haben Sie ihn auch bekommen. Aber nicht, weil Sie, wie Sie vielleicht denken mögen, als Deutscher so unendlich nett gefunden werden, sondern weil man Ihre Euros braucht und deswegen zähneknirschend akzeptiert, dass diese eben von deutschen Touristen kommen. Über die man sich dennoch am meisten am Tag ihrer Abreise freut.

Vielleicht wäre es langsam mal angebracht, wenn wir die Augen öffnen würden – denn dann könnten wir vielleicht erkennen, dass unser Land, das so viele positive Seiten hat, die unter all dem Mist verschüttet werden, den unsere Regierung verzapft, inzwischen wieder als Gefahr wahrgenommen wird. Und das sollte dann der Moment sein, in dem wir uns fragen, ob wir nicht aus Versehen seit Jahren unsere Kreuzchen auf den Wahlzetteln an den falschen Stellen machen.

Europa und die Welt haben uns nach zwei von uns verschuldeten Weltkriegen wieder hochgepäppelt, haben uns verziehen, haben uns wieder in die internationale Völkergemeinschaft integriert. Wäre es da nicht mal ein netter Zug, würden wir diese internationale Freundlichkeit ausnahmsweise nicht durch deutsches Oberlehrertum und eine derart gewalttätige und teilweise hinterhältige Politik vergelten? Auch wenn es dem einen oder anderen schwer fällt, das einzusehen – die Welt wird nicht und niemals am deutschen Wesen genesen. Und wer das wirklich verstanden hat, der könnte dann auch mal anfangen, über den deutschen Tellerrand hinauszuschauen. Zeit wäre es dafür allemal.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste